Archive for April, 2009

Als ich einst PRINZ war

Miriam-Schaaf

Miriam Schaaf schneidert die Ballkleider für die modernen Monarchen. Was die Prinzessin trägt, überlässt die Designerin aber lieber anderen.

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Lediglich die Silhouette ihrer männlichen Models, die an zart gebaute Skispringer erinnert, steht als dezenter Hinweis an Miriam Schaafs ersten modischen Berührungspunkt: An der Nähmaschine ihrer Mutter, die in den 80er Jahren in ihrer Freizeit Skianzüge nähte, entwickelte sie die Faszination für Mode und Schnitte. Die aktuelle Kollektion der Münchner Jungdesignerin ist nicht für den Sport unter freiem Himmel, sondern für dunkle Gewölbe gedacht. Auf dem Laufsteg der Beck’s Fashion Experience präsentierte sie in diesem Frühjahr düstere Drachentöter, um deren schlanke Körper sich märchenhafte Umhänge ranken. Ihre androgynen Prinzen sind der Traumwelt kleiner Mädchen entsprungen. Sie tragen ein Diadem im Haar, eine wallende Schleppe und Paillettenweste, die das moderne Dornröschen ebenso stattlich kleiden könnten. Miriam Schaaf sieht die heutigen Traumprinzen als Helden mit Gitarre und designt nicht nur für mutige Männer, sondern besonders für Bühne und Musik.
Nach Schneiderlehre und Schnittausbildung hat Miriam Schaaf an der AMD München studiert und mit Ute Ploier, die ebenfalls für Männer entwirft, in Wien gearbeitet. Ihre Diplomkollektion hat sie bei der Beck’s Fashion Experience 2009 als eines von sieben viel versprechenden Designtalenten präsentiert. Im Interview spricht sie mit uns über ihre Arbeit als Mens-Wear-Designerin.

BLANK: In Berlin hast du bei der Beck’s Fashion Experience nur die Männerstücke deiner Kollektion präsentiert. Wo hast du die Entwürfe für die Frauen versteckt?
Miriam Schaaf: Ich wollte von vorneherein nur Männersachen machen, musste aber von meiner Schule aus für Männer und Frauen entwerfen. Die Frauenstücke habe ich für die Show in Berlin rausgeschmissen und dann gemerkt, dass die Männersachen gar nicht mehr so gut zusammen passten, da die Frauenteile das Bindeglied zu den anderen Entwürfen waren. Daraufhin habe ich die Männerkollektion noch einmal neu und rein in schwarz-weiß genäht.

BLANK: Woher rührt deine Liebe zur Männermode?
MS: In erster Linie ist das intuitiv, ich habe eine Affinität dafür und es ist für mich einfacher, wenn ich eine Distanz zu der Person habe, die ich einkleide, als wenn das eine Frau ist, in die ich mich hineinversetzen kann.

BLANK: Deine Entwürfe spielen dennoch mit der weiblichen Seite des Mannes und übertreten die Grenze zu femininer Schnittführung.
MS: Auf jeden Fall, ich habe auch die komplette Kollektion schon einem Mädchen angezogen und es hat super gepasst. Die Männer müssen noch ein wenig zu mutigerer Mode erzogen werden, aber ich glaube, im Moment wächst eine Generation heran, die unheimlich modeinteressiert ist. Ich empfinde das in München als extrem. Dort sind die männlichen Modefans in den letzten drei bis vier Jahren zuhauf aus dem Boden gesprossen.

BLANK: Auf den Laufstegen werden auch die Männer immer dünner, um die schmalen Schnitte der Designer tragen zu können. Ist das Körperbild des Mannes ebenfalls einem Wandel unterzogen und von Mode diktiert?
MS: Definitiv. Ich habe meine Sachen auch an ziemlich krassen Hungerhaken gefittet.

BLANK: Was machen nun die Männer, die ihren Hungerhaken-Maßen mit 30 entwachsen?
MS: Die ziehen das Ganze dann in Größe M oder L an. (lacht)

BLANK: Wolfgang Joop hat vor kurzem gesagt, er fände das Männerbild auf den Laufstegen entwürdigend: „Es entsexualisiert den Mann, macht ihn zum entseelten Objekt.“

MS: Tatsächlich? Ich denke – und das gilt auch für Frauen – dass die Körperbilder der Laufstege dorthin gehören und die Übertragung in den Alltag so nicht stattfinden muss. Warum sollten zudem Männer immer männlich sein müssen? Frauen dürfen dünn und androgyn sein und gelten immer noch als schön. Von daher sollte Joop seine Männlichkeit vom Model-Geschmack der Designer nicht bedroht sehen.

BLANK: Wie sehen die Männer aus, die du einkleiden möchtest?
MS: „Meine Männer“ sind in der Kunst und Musik verortet. Meine Entwürfe erinnern ganz bewusst an Bühnenoutfits.

BLANK: Die Namensgebung deiner Kollektionen sind stark durch Musikzitate, Songtitel und Bands inspiriert, über die Musikkultur hinaus spielst du aber auch mit Elementen des Eskapismus. Weckt unsere heutige Welt bei dir den Wunsch nach Realitätsflucht?
MS: Sicher, und Mode und Kunst sind für mich die richtigen Orte dafür. Ich bastle mit meinen Entwürfen gerne selbst eine Traumwelt, in die ich mich flüchte, wenn ich denke, mir wird gerade alles zuviel.

BLANK: Du entwirfst auf der einen Seite den Prinzen, der Stärke demonstriert und dafür steht, das Burgfräulein aus dem Turm zu retten. Auf der anderen Seite arbeitest du mit starken femininen Einflüssen bei den Männern, lässt sich das überhaupt gut vereinen?
MS: Klar. Das Bild vom Prinzen ist eigentlich ein Bild ist, wie sich kleine Mädchen ihren Traumprinz vorstellen und das sind die Gedanken, die ich zitieren wollte. Meine Jungs sehen aus, wie man sich als kleines Mädchen einen Prinzen vorstellt. Sie sind knabenhafter und bauen auf mädchenhaften Ideen auf.

BLANK: Was für Reaktionen bekommst du von Männern?
MS: Von Schwulen bekomme ich sehr positive Reaktionen, von Heteros seltener. Dafür habe ich aber bereits eine Lösung: Meine Kleider sind so konzipiert sind, dass man die extravaganten Teile abnehmen kann. Mein Freund ist kein experimentierfreudiger Modetyp und kann meine Sachen trotzdem tragen.

BLANK: Planst du nun eher in Richtung Bühnenoutfits und Bands als in Richtung eines klassischen Labels?
MS: Die Verbindung zwischen Musik und Mode ist mir sehr wichtig. Es ist vielleicht sogar mein größter Traum, nur Kollektionen für Musiker zu machen und Kostümbildner für Künstler zu sein. Ich muss mir nun Bands aussuchen, die in meine Mode „reinpassen“. Ich würde unheimlich gerne Bands ausstatten, und es gibt auch schon erste Kontakte. Am liebsten würde ich die Black Angels anziehen, das ist in Moment meine absolute Lieblingsband und ich finde sie könnten auch neue Outfits vertragen. (lacht) Ich glaube, die wollen nicht unbedingt eine modische Band sein, aber das könnte ich ganz dezent machen. Den Sternen würde ich vielleicht auch neue Outfits verordnen. Junge Bands haben meistens mittlerweile ihre Modeberater, aber die ältere Generation lässt manchmal ein bisschen zu wünschen übrig.

BLANK: Du nennst unzählige Musiker als deine Inspiration. Was ist musikalisch dein größter Einfluss?
MS: Für meine Diplomkollektion waren es Tocotronic. Ich war etwas verzweifelt, da ich unter Druck stand ein Inspirationsthema präsentieren zu müssen. Zumeist habe ich schon im Vorfeld ein Thema, aber ich vermische es immer noch gerne mit drei anderen und zu dem Zeitpunkt wurde das „Manifest“ zum bevorstehenden Tocotronic-Album veröffentlicht. Ich habe das im Radio gehört, hatte sofort ein Bild vor Augen, wie ich das umsetzen könnte und wusste: „Das ist es!“ Den Begriff der Kapitulation modisch umzusetzen, fand ich extrem spannend, weil es genau in der Mode eigentlich immer darum geht zu zeigen, wie unglaublich toll man ist, wie gut man aussieht. Ich wollte dazu ein Gegenstatement zu setzen. So war es in dem Fall weniger das Album oder die Musik, die mich inspiriert haben, sondern eher das Manifest.

BLANK: Das klingt beinahe politisch. Dennoch: begab man sich in den letzten Wochen auf die Modewochen überall in der Welt, war von Finanzkrise und ihrer künstlerischen Aufarbeitung wenig zu spüren.
MS: Es ist etwas absurd, die Fashion Week ertränkt sich im Glamour. Die Mode zelebriert sich im Eskapismus. Aber es muss ja Bereiche geben, in denen man nicht in Panik verfällt und zu dem steht, was man kann.

BLANK: Welche Designer haben dich während der Fashion Week in Berlin begeistert?
MS: Als Mens-Wear-Designerin fand ich natürlich Julia Kim bei der Beck’s Fashion Experience sehr spannend; obwohl sie komplett anders als ich arbeitet, hat sie den gleichen Anspruch aus etwas Klassischem etwas Neues zu entwickeln. Sie findet dafür fantastische Lösungen. Und sonst? Ich kenne mich nicht so aus mit Frauensachen, die interessieren mich einfach nicht so. (lacht) Ich bin daher mit meiner eigenen Garderobe ein bisschen nachlässig. Ich gehe ganz selten einkaufen, und wenn, dann meistens in einer totale Krise: Ich denke, scheiße – ich bin doch Modedesignerin, ich muss mich besser anziehen. Aber meistens laufe ich in Jeans und T-Shirt rum.

BLANK: Was hast Du von deiner Arbeit mit Ute Ploier in Wien mitgenommen?
MS: Ich habe große Sprünge gemacht, zumindest im Kopf. Ich hatte bei Ute Ploier erst einmal gemerkt, was es heißt, Designer zu sein. Dass es wirklich in erster Linie einmal auf die Organisation ankommt, und dass „Kollektion machen“ eigentlich nebenbei passiert. Wenn man kurz fünf Minuten Zeit hat, überlegt man sich, wie mach ich eigentlich diese Saison die Hemden? Das professionelle Arbeiten, die Organisation und auch gegen Stress resistent zu sein, habe ich auf jeden Fall von Ihr gelernt.

BLANK: Welche Themen werden deine nächste Kollektion bestimmen?
MS: Ich fange gerade an mich mit „Moby Dick“ zu beschäftigen und habe parallel dazu die Black Angels im Ohr. Es wird wohl eine Fusion aus beiden Einflüssen, zudem sehr hell, wohl weniger typisch für mich, aber für den Sommer.

BLANK: Glaubst du, die Männer brauchen noch ein Mal einen starken, modischen Appell um sich mutiger zu kleiden?
MS: Nein, den brauchen sie nicht. Ich glaube, sie finden von allein zur Mode. Sie beziehen Einflüsse aus Musik und dem Netz. Vor ein paar Jahren war es einfach nicht möglich sich umfassend über Mode zu informieren. Mittlerweile ist es so leicht geworden; man erkennt kaum noch Unterschiede ob jemand in einer Großstadt wohnt oder aus der Provinz kommt.

Teresa Bücker & Sophia Hoffman

IN BURKINA FASO GEHT DIE SONNE AUF

BURKINA-FASO

Die „schönste Frau Deutschlands“ macht sich auf den Weg in eines der ärmsten Länder Welt, um ihrer Verantwortung für den Schwarzen Kontinent gerecht zu werden und die Medien interessiert es nicht. Cosma Shiva Hagen schreibt über Fairtrade, ihre Rolle als „Baumwoll-Patin“ und die moralische Pflicht der westlichen Verbraucher.

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Am frühen Morgen des 28. November 2008 klingelt mein Wecker. Es ist vier Uhr in der Früh, und ich mache mich noch im Dunklen auf die Suche nach meinen Sieben Sachen für eine 5-tägige Reise nach Afrika. Mit einem circa 10-köpfigen Team und im Auftrag von „Fairtrade Deutschland“ machen wir uns auf den Weg in eines der rohstoffreichsten und dennoch ärmsten Länder der Welt. Am Flughafen werde ich bereits erwartet. Wohingegen ich noch nicht so richtig weiß, was mich erwartet. Aber ich weiß zumindest, mit welchem Auftrag wir uns auf diese Reise machen. Wir, das sind ein Kamerateam aus Hamburg, ein Fotograf aus Berlin, Dieter Overath, der Direktor von Fairtrade Deutschland mit zwei seiner Mitarbeiterinnen und ich.
Als ich Anfang des Jahres darum gebeten wurde, dieses Projekt zu unterstützen, hieß es, dass wir Ende des Jahres in Burkina Faso eine Dokumentation drehen würden, um die Werbetrommel für fair gehandelte, biologisch angebaute Baumwolle zu rühren. Mit einer kleinen Prise Idealismus, gutem Willen und Neugier im Gepäck werden wir auf den Spuren des weißen Goldes wandern. Das Ziel: Die Themen fairer Handel, Nachhaltigkeit und Umweltschutz ein paar Rangplätze auf der Agenda der Menschen in Europa nach oben schieben. Aber ob es überhaupt etwas an der Denke der Menschen ändern wird?
Ich stelle mich ein auf eine angekündigte Armee von Journalisten, aber wie sich herausstellt, hat in Zeiten der Weltwirtschaftskrise und Obama-Mania keiner so recht Zeit oder Interesse an diesem Thema. Die schnelle Nachricht ist dieser Tage mehr wert, als ethische Fragen. Afrika scheint, durch die andersartige Mentalität, die vielen Bürgerkriege, die Korruption, die immer wiederkehrenden Probleme und der daraus resultierenden Ohnmacht immer wieder gerne vergessen und aus den Köpfen der Europäer verdrängt zu werden. Zwei Journalisten aus Frankfurt und Österreich begleiten uns immerhin doch noch.

Nach einem langen Flug und einer kurzen Fahrt durch die Dunkelheit kommen wir im Hotel an. Aber: Wie Sie sehen, sehen Sie nichts! Es ist stockfinster und im Hotel ist der Strom ausgefallen. Willkommen in Afrika! Wir checken alle ein und ich stelle fest, dass ein Handy ohne Netzempfang trotzdem sehr nützlich sein kann. Auf der Suche nach meinem Zimmer stolpere ich mit dem dürftigen Licht des Mobiltelefons durch den Hotelflur an sämtlichen Zahlen vorbei, blicke voller Vorfreude einer ereignisreichen Woche entgegen und wünsche mir zeitgleich für die nächsten Tage, dass wenigstens ein anderes Licht im Dunkeln zum Vorschein kommen möge, und wir einiges über dieses Land und seine Menschen in Erfahrung bringen können.
Nach meiner ersten Nacht in der Hauptstadt Ouagadougou werde ich von den ersten Sonnenstrahlen des Tages geweckt. Die ehemalige französische Kolonie Westafrikas kam erst Mitte der achtziger Jahre zu seiner heutigen Bezeichnung Burkina Faso – „Land der ehrenwerten Menschen“. Ehrenwerte Ziele verfolgte auch der damalige sozialistische Revolutionär Thomas Sankara, dessen Politik auf den Kampf gegen Hunger und Korruption ausgerichtet war. In Anlehnung an kubanische und andere Revolutionen setzte er in seiner Regierungszeit beachtliche Zeichen. Minister wurden dazu verpflichtet, den Fuhrpark ihrer Ministerien zu verkaufen und durch einen Renault 5 –die billigste Variante Auto zu jener Zeit – zu ersetzen. Er verbot die Beschneidung von Frauen und seine Leibwache war ebenfalls eine nur von Frauen zusammengesetzte Einheit auf Motorrädern. In seiner Regierungsmannschaft befanden sich so viele Frauen, wie nie zuvor in einem afrikanischen Staat.

Und auch heute noch weht jener Geist der Toleranz durch das Land. Denn trotz der vielen verschieden ausgeübten Religionen kommt es im alltäglichen Leben scheinbar zu keinen nennenswerten Problemen, was der hohen religiösen Toleranz der Burkiner zugeschrieben wird. Später auf dieser Reise wird man mir erzählen, dass man zwar Witze über den anderen macht, sich danach aber wieder die Hände reicht. Welch schönes Alleinstellungsmerkmal in einer Region voller Konflikte.

In der Stadt reiht sich ein Verkaufstand an den anderen. Es werden so viele Dinge angeboten, die hier zu Lande wahrscheinlich kein Mensch braucht, zumindest nicht in dieser Menge, und es stellt sich die Frage, wer zum Teufel diesen ganzen Kram kaufen soll. Wir sind hier nicht gerade in einem afrikanischen Urlaubsgebiet gelandet, wo Touristen sich allerhand Schnickschnack mit nach Hause nehmen. Man wird dazu überredet, irgendetwas zu kaufen, ob man es braucht oder nicht. Ein Straßenverkäufer wird mit einer beneidenswerten Phantasie Gründe erfinden, warum sein „Kunde“ dringend und unbedingt etwas bei ihm kaufen muss. Einer unserer Kameramänner wird später mit Übergepäck zurückreisen…

Es ist heiß in Ouagadougou und die Luft ist trocken und staubig. Eine unangenehme Duftwolke aus verfaultem Müll, Smog und etwas Undefinierbarem breitet sich über der Stadt aus. Wir bekommen davon zum Glück wenig mit und machen uns stattdessen in einem klimatisierten Geländewagen im Konvoi mit Fahrern und Übersetzern in die Region Dano. Wir fahren nicht gerade langsam, dennoch werden wir von einem Bus überholt, an dem circa 50 lebendige Hühner kopfüber hängen, und ich kann es mir kaum verkneifen, zu denken: Ist das eigentlich artgerecht oder ist Käfighaltung Luxus dagegen? Der nächste Bus, der uns überholt, trägt auf dem Dach drei Ziegen, die auf unerklärliche Weise ihr Gleichgewicht zu halten scheinen. Der dritte Bus überholt uns derartig grotesk mit Mensch und Zeug überladen, dass man sich fragt, wie es sein kann, dass er unbeeindruckt weiter fährt, anstatt einfach mal zur Seite umzukippen. Da fällt mir ein Satz ein, den ein alter Freund aus dem Senegal zu solchen Gelegenheiten immer anbrachte: „Who the fuck said, we can´t?“ und Obama würde hinzufügen „Yes, we can!“

In Burkina Faso fahren wir alle fünf Minuten an einem Baumwollfeld vorbei. Unser Ziel ist das Dorf Complan, in dem viele Bauern sich vor einigen Jahren zu Kooperativen zusammengeschlossen haben, um für Fairtrade große Mengen Bio-Baumwolle anzubauen. Nach einigen Stunden Fahrt kommen wir im Dorf an und werden mit einer poetischen Rede vom Dorfältesten begrüßt. Dieter Overath revanchiert sich und hält in unser aller Namen ebenfalls eine kurze Rede. „For us, coming here is like coming to see friends“. Was sich kitschig anhört, fühlt sich aber tatsächlich so an und da das restliche Team hier schon einmal gedreht hat, ist es auch Realität. Wir bauen eine Leinwand auf, um allen das gedrehte Material vom letzten Besuch zu zeigen. Es wird uns eine Schüssel mit selbst gemachtem Hirsebier – Zorgun – gereicht. „L´éau pour l´étranger“ – „Wasser für die Fremden“. Während die Männer und Frauen tanzen und singen, versuchen wir, unsere Technik aufzubauen. Ein wahrhaft symbolisches Bild für die Welten, die hier aufeinander knallen. Die Herzlichkeit, mit der wir hier begrüßt werden, ist typisch für Afrika. Diese scheinbare Sorglosigkeit und Lebensfreude der Menschen ist unvergleichbar. Wäre es denkbar, dass wir für einen Moment einfach mal den Dreh vergessen und auch singen und tanzen? Wann haben wir verlernt, auch mal für Dinge dankbar zu sein und inne zu halten? Die Menschen hier haben weitaus weniger Möglichkeiten und strahlen dennoch mehr Herzenswärme aus, als die Mehrheit der Menschen, die mir in Europa in den Straßen entgegenlaufen. Die unerschütterliche Zuversicht der Menschen hier muss man aber wahrscheinlich auch als einen Schutzmechanismus sehen. Optimismus als Überlebensstrategie.

Nachdem wir den Film vorgeführt haben, setzen wir uns alle in eine Reihe vor eine liebevoll gedeckte Bank, die mit allen Rohstoffen, die hier geerntet werden, geschmückt wurde. Mais, Erdnüsse, Sesam, Hibiskus, Hirse, Shea Butter, Reis und vor allem Baumwolle. Der Chef der Bauern-Kooperative will Rede und Antwort zu Zahlen und Fakten stehen. Als Erstes begrüßt er alle seine Arbeiter, die ebenfalls gekommen sind, mit dem Satz „Danke an alle meine Sklaven“. Großes Gelächter breitet sich aus und ich kann mir einen leicht verwirrten und nachdenklichen Moment kaum verkneifen.
Es hat Jahrhunderte gedauert, bis aus den Samenhaaren der Malvenpflanze das global begehrte „weiße Gold“ wurde. Bis ins 20. Jahrhundert war Baumwolle das wichtigste Exportgut der US-Südstaaten. Dort hatten Plantagenbesitzer im 19. Jahrhundert ihr Geschäft auf dem menschenverachtenden Einsatz afrikanischer Sklaven errichtet. 1860 gab es in den Konföderierten Staaten 3,5 Millionen Sklaven unter den insgesamt 9,1 Millionen Bewohnern. Die Baumwollpflücker wurden körperlich ausgebeutet und seelisch misshandelt. Hunderttausende starben in Folge der Sklaverei.
Heute schreiben wir das Jahr 2009. Was hat sich seither geändert? Seit Jahrhunderten werden die rohstoffreichsten und dennoch ärmsten Länder der Welt ausgebeutet. Und das für Produkte des täglichen Gebrauchs: Kaffee, Wolle und so weiter. Klingt wie ein Widerspruch, ist aber Realität. Woran liegt das? Ignoranz? Gleichgültigkeit? Unwissenheit?

Wenn die Menschen sich darüber im Klaren wären, wie sie mit ihrem Konsumverhalten zur allgemeinen Wirtschaftslage beitragen, würden sie sich dann auch dementsprechend verhalten? Wenn eine Familie mit vielen Kindern von Hartz IV lebt, würde sie trotzdem Sachen kaufen, die womöglich durch Kinderarbeit entstanden sind, nur um Geld zu sparen? Oder würden sie sich eher für Tauschbörsen wie Oxfam interessieren, wenn sie in diesem Gebiet mehr Aufklärung erfahren würden?
Ich bin ja selbst nicht ganz frei davon, und es ist schlicht nicht angemessen zu erwarten, dass sich jeder einzelne Konsument in den westlichen Industrienationen Tag für Tag darüber Gedanken macht, was er getrost kaufen darf, wo es herkommt, wie viel Benzin oder Energie er verbraucht hat und wie viel Wasser man hätte sparen können. Und ich glaube, das ist in unserer heutigen Gesellschaft auch fast nicht mehr zu ändern. Zumindest nicht, solange größere Firmen weiterhin so beliebt bleiben, wenn sie sich nicht für fairen Handel entscheiden und mit gutem Beispiel voran gehen. Da kommen wieder die Konsumenten ins Spiel, wobei ich mir denke, dass es den Kids wahrscheinlich egal ist, ob ihre Turnschuhe durch Kinderarbeit entstanden sind oder nicht. Den meisten reichen Hausfrauen ist es wahrscheinlich auch egal, wie sie in ihren Luxusschlitten zur Umweltverschmutzung beitragen, während sie samstags die Biokost fürs Baby kaufen fahren. Die Menschen in der Dritten Welt müssen unseren Lebensstandard ausbaden, wenn durch die Umweltverschmutzung Flutwellen ihr Land und ihre abertausenden Wellblechhütten umkreisen. Und das in Gebieten, wo man schon so ärmlich lebt, dass man weiß Gott andere Sorgen hat.
Es ist es höchste Zeit, dass wir zumindest ein Verantwortungsgefühl entwickeln, das in dieser Hinsicht einen gewissen Ausgleich und eine Balance schafft zwischen unbewusstem Konsum und gezielter Nachhaltigkeit.

Fairtrade setzt hier an einem Punkt an, der zukunftsweisend ist. Wobei man eines ganz klar verstehen muss: Fairtrade ist nicht gleich Bio und Bio ist nicht gleich Fairtrade. Das wird oft falsch verstanden. Was nutzt mir eine Bio-Banane, wenn sie durch Zwangsarbeit und ungerechte Subventionen bei mir auf dem Teller gelandet ist und der Bauer, der sie gepflückt hat, keinen Cent dafür erhalten und seine Gesundheit durch die Pestizide beim konventionellen Anbau eingebüßt hat? Beim biologischen Anbau geht es bei den meisten doch nur darum, ihre individuelle Lebensqualität zu verbessern und gewiss nicht darum, fairen Handel und Umweltschutz zu unterstützen.
Fairtrade bemüht sich, den vielen Bauern zu ermöglichen, vom konventionellen Anbau auf Bio-Anbau umzustellen. Die Umstrukturierung ist eine schwierige und langwierige Arbeit, denn es dauert etwa vier Jahre, bis die Pestizide nicht mehr im Boden nachweisbar sind. Trotzdem nehmen dies immer mehr Bauern in Kauf, weil sie mittel- und langfristig davon nur Vorteile haben. Das mit dem Bioanbau hat sich herumgesprochen und es finden sich immer mehr Bauern in Fairtrade-Kooperativen zusammen. In diesem Projekt werden die Bauern durch Fachleute im biologischen Anbau geschult. Ihre Einnahmen und eine Prämie für die gemeinschaftliche Infrastruktur sind garantiert. Ihre Gesundheit wird nicht mehr in Mitleidenschaft gezogen, wodurch sich vor allem für Frauen ganz neue Möglichkeiten bieten. Die Fruchtbarkeit der Frau hat hierzulande einen besonders hohen Stellenwert und so war es den meisten Frauen nicht erlaubt, auf den Feldern zu arbeiten – die Pestizide stellten ein zu hohes Risiko für Fehlgeburten da. Auch allein erziehende Frauen haben nun endlich die Chance, ihre Zukunft besser zu gestalten. Bisher kann nur ein Bruchteil der afrikanischen Baumwollproduzenten am fairen Handel teilhaben. Ziel muss es sein, den Millionen Bauern und Bäuerinnen zu ermöglichen, von ihrer Arbeit leben zu können.

Am zweiten Tag meiner Reise werde ich auf ein Baumwollfeld geführt, wo gerade geerntet wird. Lachend und singend zeigen mir die Frauen, wie ich die Wolle pflücken soll und machen mich charmant darauf aufmerksam, dass ich eine Ecke vergessen habe. Ich sehe eine 20-jährige Frau, die ein Baby auf den Rücken geschnürt trägt und dazu an beiden Händen jeweils ein Kind hat, auf das sie noch zusätzlich aufpassen muss, während sie die Baumwolle erntet. Ich frage mich, wo ihre Baumwolle landet. Sie landet dort, wo andere Mädchen ihres Alters das größte Problem darin sehen, dass sie nicht genauso viele trendige Accessoires besitzen, wie ihre Vorbilder in den Gazetten der Yellow Press.
Als ich vor circa acht Jahren vom UNHCR gefragt wurde, ob ich als Botschafterin nach Sierra Leone reisen würde, um Schulen für ehemalige Kindersoldaten zu bauen und Spendenaufrufe zu drehen, wusste ich noch nicht, dass dies mein ganzes weiteres Leben verändern würde. Ich bin durch die Punkzeit meiner Mutter geprägt und auch durch die Erfahrungen, die ich in der Gesellschaft sozial-kritischer und politischer Menschen verbringen durfte. Durch meine Erziehung war ich mir also dessen bewusst, was auf der Welt so los ist. Und dennoch hatte ich nie einen richtigen Bezug dazu. Ich habe nicht hundertprozentig danach gelebt, weil ich es nicht hundertprozentig gefühlt habe. Ich bin hierher gefahren, weil es für mich einfacher ist, Menschen von einer Idee zu überzeugen, wenn ich mich selbst davon überzeugt habe. Wenn ich vor Ort die Menschen kennengelernt habe, die direkt von der Problematik betroffen sind, kann ich es dadurch zwar nicht ganz nachempfinden, weil ich nur die Oberfläche mitbekomme. Aber es gibt mir zumindest eine Ahnung von dem, was die Menschen durchmachen und es ist im Nachhinein so, als würde ich Bekannten oder Freunden helfen. Deshalb kann ich es gewissen Politikern und Wirtschaftslenkern nicht einmal übelnehmen, dass sie sich nicht vollständig verantwortlich fühlen für diese Themen. Aber wie können wir das ändern?
Statt Big Brother und Dschungelcamp, womit sich anscheinend die halbe Nation beschäftigt, könnte man doch auch mal ein TV-Format ins Auge fassen, in dem Menschen, die in dieser Hinsicht etwas bewegen könnten, ausgesetzt werden und hier irgendwie klarkommen müssen. Soll Paris Hilton doch im afrikanischen Bürgerkrieg ihren best friend forever finden.

Die Baumwolle ist ein Symbol großer Hoffnung für den afrikanischen Kontinent. Gleichzeitig aber auch ein politisches Konfliktfeld. Da die Baumwolle auch heute noch eine der wichtigsten Naturfasern ist und allein mit der Produktion, dem Transport und der Lagerung weltweit rund 350 Millionen Menschen beschäftigt sind, ist sie mittlerweile sogar an der New Yorker Terminbörse ein begehrtes Spekulationsobjekt. Somit schwanken aber auch die Preise am Weltmarkt. Die Verhandlungen der Welthandelsorganisation lassen noch immer kein positives Signal erkennen. Dabei spielt die Baumwolle gerade für Westafrikanische Länder wie Burkina Faso eine große Rolle im Kampf gegen Armut.
Die Sonne geht unter in Burkina Faso. Mir wurde erzählt, dass das Jahr 2007 eine sehr karge Ernte brachte. Der Regen fiel unregelmäßig, überschwemmte das Saatgut, in der Folge kam es zu Hungerrevolten. 2008 hingegen gab es eine hervorragende Ernte und die Lage hat sich entspannt. Dementsprechend grün ist es hier während unserer Reise. Grün wie die Hoffnung! Somit verlasse ich Burkina Faso mit einem hoffnungsvollen Gefühl und Wachstum ist das, was ich diesem Land wünsche, während ich vom Flugzeugfenster auf Burkina herunter schaue.
Oftmals scheitert die sogenannte Hilfe zur Selbsthilfe an der einfachen Frage, wo man gezielt ansetzen kann. In dieser Hinsicht ist die Fairtrade-Idee fast so revolutionär wie die damalige Politik von Thomas Sankara. Und dennoch so einfach und logisch, dass es einem unbegreiflich ist, warum es für fair gehandelte Rohstoffe noch immer keine international gültigen Gesetze gibt, die Kinderarbeit, ungerechte Subventionen und Ausbeutung verhindern.
1987, eine Woche vor der Ermordung Thomas Sankaras durch einen Putsch des Militärs, zitierte er in einer Rede zum Gedenken Che Guevaras den Satz eines Offiziers bei der kubanischen Revolution: „Nicht schießen – Ideen lassen sich nicht töten!“

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