Archive for September, 2012

Die neue BLANK-Ausgabe

Das neue Heft ist da!

Kid Kopphausen, Fritz Kalkbrenner, Papa Roach, documenta und Myanmar sind doch viel besser als Kate, Mohammed und Benedikt. Dazu gibt es Literaturkritik und ganz, ganz viele spannende Fotos mit schönen Frauen, angesagten Hip-Hop-Künstlern. Und den üblichen BLANK Themenmix: Gesellschaft, Diskurs, Disko.

Ab sofort online: Das neue Heft!

Mein Glashaus

Eine Assoziation von Johannes Finke zu “Das Imperium” von Christian Kracht

Mein Glashaus existiert seit Jahren nur als Gerüst. Ein Skelett aus Form gebenden Trägern, durch die der Wind pfeift. Ein offenes Dach, das den Regen schon lange nicht mehr draußen hält. Ein aufgewühlter, lehmiger Boden, durchweicht und sämtlicher Festigkeit beraubt, von Steinen und Samen befreit, aseptisch. Hier wächst nichts mehr reales. Kein Getreide. Kein Obst. Keine Blumen. Kein Unkraut. Nur Ungeduld. (mehr…)

Sex, Drugs & Ecuador

Die Stadt Montañita an der Pazifikküste ist Ecuadors Surferparadies und noch immer ein Geheimtipp unter Eingeweihten. Hierher pilgern Jungs und Mädchen aus der ganzen Welt, die ihr Leben dem Wellenreiten verschrieben haben. So hat sich in Montañita eine Infrastruktur entwickelt, die glücklicherweise noch nicht massenkompatibel und so für den Pauschaltouristen uninteressant ist. Bambushütten wurden zu Herbergen und Bars umgewandelt, die meisten Straßen sind nicht asphaltiert und am Strand kann man noch in Ruhe im Schatten einer Palme dem Meeresrauschen lauschen.

(mehr…)

Wenn Aschenputtel auf Peitsche trifft

shades_of_grey

Auch unsere Autorin Mirka Uhrmacher hat sich durch den Buch-Hit der Saison gequält. Und vielleicht ist das der Beginn einer wunderbareren Karriere als Fetisch-Fotografin. Ansonsten hat “Shades Of Grey” nicht viel zu bieten. Hatten wir irgendwie erwartet. Und feministisch ist das Ganze auch nicht unbedingt. Fifty Shades of Grey oder auch Shades of Grey – Geheimes Verlangen, wie es in der deutschen Übersetzung in guter Groschenromanmanier heißt, führt neben dem offiziellen Titel noch den Beinamen Das Buch. Ob aus literarischer Sicht zu Recht oder nicht sei einmal dahingestellt, diese Kategorie ist hier sowieso eher nebensächlich.

Weiter weiter lesen

Was tatsächlich zur Beschäftigung mit E.L. James Megabestseller herausfordert, ist der erstaunliche und bisweilen auch erschreckend anmutende Erfolg eines Skandalromans, der völlig ohne nennenswert skandalöse Inhalte und ebenfalls ohne interessante Story auskommt. Dass man die 600 Seiten trotzdem durchhält, ist ein Phänomen. Und so ist eigentlich auch vor allem die Frage spannend, wie ein dermaßen schlecht und eintönig geschriebener Schund einen solchen Hype auslösen kann. Die Autorin – ein großer Fan der Twilight-„Saga“ – schreibt so originell und variantenreich wie ein automatisches Textgenerierungsprogramm. Alle drei Zeilen errötet das graue Mäuschen von Protagonistin, während sie die Fassung verliert, es nicht glauben kann, vor Erregung und Verlangen weder ein noch aus weiß, mit ihrem Unterbewusstsein (äh…) und ihrer inneren Göttin (was zum…?!) zu kommunizieren versucht und nervtötende ‚Oh’s oder ‚Wow’s in die leere Luft ihres Kopfes blubbert. Anastasia Steel ist so unfassbar naiv, dass man sich fragen muss, wie sie es bis ins hohe Alter von 21 Jahren – wohlgemerkt ohne jemals dabei über oder gar auf einen Mann gestolpert zu sein – geschafft hat. Christian Grey dagegen, atemberaubend schön und reich und attraktiv und smart und gutaussehend und geheimnisvoll und, ja, schön halt – schon gehen einem die Synonyme aus! – , weiß alles, kann alles, ist die Souveränität in Person und wird nur, ach wie romantisch, bei der tollpatschigen kleinen Literaturstudentin schwach, die zufällig in sein Büro purzelt. Aschenputtel lässt grüßen. Er bringt daraufhin erwartungskonform ihre Welt total durcheinander und sie die seine. Doch ein dunkles Geheimnis, welches den Astralkörper des Christian Grey aurengleich umflattert, macht die ganze Sache natürlich reichlich kompliziert. Der ‚schwarze Prinz‘, als welcher er stilisiert wird, hatte eine schwere Kindheit (schnief) und ist seitdem ziemlich verkorkst. Aber von Ana kann er die Finger nicht lassen und sie praktischerweise ihre auch nicht von ihm und so konfrontiert er sie mit seinen ungewöhnlichen Leidenschaften: einem vor Klischees triefenden Spielzimmer, in dem es alle landläufig assoziierten BDSM-Utensilien gibt. Dass dieser Raum eher an wenig kreative, dafür aber mit einem ordentlichen Mengenrabatt für roten Samt ausgestattete Bordelle erinnert, ist innerhalb der sterilen und hypermodernen Penthousewohnung des Multimillionärs Christian Grey sicherlich nicht gewollt, aber unvermeidbar und extrem störend. Jungfrau Ana ist jedenfalls erst einmal angemessen schockiert, lässt sich daraufhin aber prompt von diesem ‚perversen Schwein‘ entjungfern, verliert vor lauter Orgasmen dabei fast das Bewusstsein und entschließt sich, aufgrund ihrer pubertär überzogenen Gefühle, die eher an die Verehrung einer Boyband oder eines Filmstars erinnern, seine kleinen Spielchen mitzumachen. Sie kriegt den Po versohlt und Reitgerten eingeführt, windet sich stets brav unter den ekstatischen Zuckungen ihrer unzähligen Orgasmen, bekommt MacBooks, Smartphones, Autos und Klamotten geschenkt und weint manchmal, weil das dann doch alles irgendwie ein bisschen viel für sie ist. Christian bleibt ihr – das ist ja auch seine Aufgabe – ein riesiges Geheimnis, klar ist nur, dass sie ihn retten will und muss. Vor sich selbst und seiner bösen dunklen Seite. Denn sie will ‚Mehr‘, und um dieses kleine magische Wörtchen entspinnt sich eine belanglose Geschichte, in der abgesehen von den äußerst sparsam zum Einsatz gebrachten Spielzeugen kaum ‚härter gefickt‘ wird, als bei den meisten Paaren zu Beginn ihrer Beziehung, in der nur ganz selten mal jemand haut und in der Ana maximal gefesselt und zu vierzigstimmigen Kirchenchören sanft mit einer Peitsche in bis dato völlig unbekannten Sphären der Lust vor sich hin dümpelt. An dem Punkt, wo Mr. Grey endlich mal richtig zulangt, schreit sie ihn an, wünscht ihn zum Teufel, verlässt ihn und sein Megahyperluxuspenthouse – und das Buch ist zu Ende. Meine Güte.

Irritierender als der haarsträubende Schreibstil und die nichtssagende Story ist letzten Endes nur der Kontext, in dem dieses Werk seinen Anfang nahm. Geboren als einfallslose Fanfiction und ursprünglich den beiden Twilight-Dummdöseln auf den Leib geschrieben, ist die Tatsache, dass da eine verheiratete Frau Mitte 40 einen Jugendroman vergöttert und passioniert weiterschreibt der wirklich verstörende Fakt. Es wäre sicherlich spannend zu erfahren, was sie zu dem jüngsten Skandal um Vampirella Kristen Stewart zu sagen hat, die den armen Robert Grey… äh, Pattinson betrogen hat. Bei Youtube gibt es hierzu Videos von Fans, die weinen und schreien und zetern und… das ist wirklich alles hochgradig gruselig. Was bringt erwachsene Frauen, von denen man annehmen sollte, dass sie mitten im Leben stehen, bloß zu einem dermaßen fragwürdigen Verhalten? Was treibt sowohl Autorin wie Leserinnenschaft an? Sexuelle Revolution? Ein (antifeministischer) Backclash? Oder doch ein noch viel weitreichenderer Wunsch, nämlich der nach himmlischer Infantilität?

Der Umstand aber, dass dieses Meisterwerk an Stumpfsinn so erfolgreich ist, wirft offensichtlich Fragen auf. Was um alles in der Welt ist da los? Seichte Lektüre mit kleinen erotischen Einsprengseln sei jedem zugestanden und ist wirklich etwas Schönes. Wenn aber öfter ‚postkoitales Haar‘ gekämmt und irgendwas gegessen wird, als dass es mal richtig zur Sache geht (denn hey, das erwarte ich nun mal von so einem Roman!), der geschilderte Sex reichlich kurz ausfällt, da Ana schon kommt, ehe sich der durch das Lesen ausgelöste sexuelle Reiz bis zum Gehirn des Lesers – oder eher: der Leserin – vorgekämpft hat, dann macht das reichlich wenig Sinn. Was also feiern Millionen von Frauen an diesen 600 Seiten Eintönigkeit? Tatsächlich eine sexuelle Revolution, durch die endlich eine tabufreie Thematisierung des SM-Bereichs ermöglicht wird? Na, wohl mitnichten! Ganz im Gegenteil wird diese sexuelle Vorliebe hier nicht salonfähig gemacht, sondern als Entartung, Perversion und Krankheit gebrandmarkt. Immerhin steht ja genau das zwischen Ana und Christian, steht ihrer tiefen Liebe (hach ja) im Weg, macht alles kompliziert, gehört therapiert. Ausgelöst durch seine traumatische Kindheit (hach ja) ist Mr. Grey nicht dazu in der Lage, eine andere Art von Nähe zuzulassen. Auch wenn er heftig dementiert, als Kind missbraucht worden zu sein, Ana erzählt diese Geschichte aus der Ich-Perspektive (hach ja), es gibt keinen Erzähler, der für eine objektive Ansicht zurate gezogen werden könnte. Und in Anas Augen ist der gute Mr. Grey ein gutaussehendes, reiches, missbrauchtes und perverses Schwein, das es zu retten gilt. Wenn so ‚salonfähig‘ aussieht… Irgendwie kann es das also nicht sein.

Also doch der Wunsch nach alten Rollenverhältnissen? Aber Feministinnen sollten nicht aufschreien, weil sich hier eine Frau freiwillig einem Mann unterordnen würde. Das will Ana ja gar nicht! Das störrische kleine pubertäre Gör versteht den Sinn dieser ganzen Sache nämlich überhaupt nicht. Zudem wäre die Unterwerfung eines dermaßen leicht zu manipulierenden Mädchens auch nicht überaus attraktiv. Was mich selbst – unabhängig nun von allem Gender-Gerede – echt auf die Palme gebracht hat ist, dass Ana fröhlich auch auf den Gebrauch ihrer letzten noch verbleibenden dreieinhalb Gehirnzellen verzichtet und dieser Umstand bei Frauen rund um den Globus scheinbar feuchte Höschen hervorruft. Ja Sakrament, ist das die Vorstellung einer erfüllten Sexualität im 21. Jahrhundert? Eine Jungfrau trifft auf einen Experten und wird von da an von Orgasmen nur so überschüttet, ohne auch nur den Hauch einer Ahnung von ihrem eigenen Körper zu haben? Es ist eine alte und überaus faule Ausrede, schlechten Sex immer nur auf die Unfähigkeit des Mannes zu schieben. Eine Frau, die schlechten Sex hat, ist in den allermeisten Fällen selbst daran schuld. Und folglich ist auch guter Sex nicht das Ergebnis von Hexerei oder glücklichen Zufällen, sondern logische Konsequenz aus einem offenen Verhältnis zum Partner, zu sich selbst und den Bedürfnissen des eigenen Körpers. Aber nein, Ana lebt einen anderen Traum vor: man muss nichts wissen, nichts können, keinerlei Erfahrungen haben oder machen und am allerwenigsten muss man selbst wissen, was man will. Man muss nur den 6er im Lotto finden, den Kerl, der alles wie durch Zauberhand weiß und kann und durch seine übersinnlichen Fähigkeiten schon Brustwarzenzupfen in Orgasmuswellen konvertiert. Jubilieren da die frustrierten Hausfrauen, die sich der Sache nicht selbst annehmen wollen? Weil ihnen hier die Verantwortung für ihre eigene Sexualität abgenommen wird, da es eben eines Christian Greys bedürfe, damit auch in ihrem Unterstübchen mal Ozeane branden? Das scheint bitter, aber nicht abwegig.

Die Darstellung einer unmündigen Sexualität ist aber nur der Gipfel des Simplifizierungs-Eisbergs. Denn in Shades of Grey wird alles so stark vereinfacht und in solch abgedroschene Kategorisierungen gestopft, dass die Erwähnung der Farbe ‚Grau‘ im Titel schon an ein Meisterwerk unbeabsichtigter Komik grenzt. Statt Facetten gibt es nur das Schwarz und Weiß einer Welt, die so eindimensional ist, dass keinerlei Mitdenken mehr erforderlich ist, weder auf Seiten der Protagonisten noch auf Seiten der Rezipienten. Wieder Teenie sein, aber Erwachsenenspielchen spielen, das scheint Trumpf.

In den Worten von Christian Grey ist angelegt, was eigentlich tatsächlich für immer mehr Frauen reizvoll wird: „All die Entscheidungen, die ermüdenden Überlegungen und Grübeleien, die damit verbunden sind. Diese Frage, ob es auch wirklich das Richtige ist. Ob es wirklich jetzt passieren soll. Und hier. Über all das müsstest du dir keine Gedanken mehr machen“. Das Pendant zum Manager, der sich ab und an mal durchpeitschen lässt, Verantwortung ablegt, mal nicht die Anweisungen gibt, sondern einfach mit sich machen lässt. Eine moderne, emanzipierte und erfolgreiche Frau zu sein, das ist anstrengend und manchmal möchte man einfach nur einen richtigen Kerl an der Seite haben, der das Denken unterbindet und sagt, was Sache ist. ‚Ficken‘ eben. Doch so eine Frau ist Anastasia Steel nicht. Es sind keine kurzzeitigen Fluchten aus der anstrengenden Realität, die sie mit Christian Grey unternimmt, denn ihre Realität ist nicht im Geringsten anstrengend. Und Christian Grey wiederum ist nicht der psychisch gefestigte Charakter, dessen Überlegenheit man sich gern einmal temporär unterwerfen möchte. Es geht nicht um die positiven Aspekte von Dominanzverhältnissen und auch nicht um die lustvolle Dimension des Schmerzes. Anastasia bringt es auf den Punkt: „Vor mir steht ein Mann, der dringend Hilfe braucht. Was aus ihm spricht, ist die nackte Angst, doch er ist verloren… irgendwo in der Dunkelheit, die in seinem Innersten herrscht. Er sieht mich aus weit aufgerissenen Augen an, in denen die blanke Qual steht. Aber kann ich ihm helfen, kann ich zu ihm hinabsteigen, in seine Dunkelheit, und ihn ins Licht holen?“ Das irgendwo aufgeschnappte Konzept wird verworfen zugunsten eines unreifen Helfersyndroms unter Aufgabe nicht etwa der anstrengenden Alltagsverantwortung, sondern der Verantwortung generell, nicht zuletzt auch der wundervollen Verantwortung der eigenen Sexualität gegenüber, die sehr wohl emanzipiert ist, auch wenn ein Teil von ihr sich nach Unterwerfung sehnt. Salonfähig machen, hm? In Shades of Grey geht es nicht darum, ein unzeitgemäßes Tabu zu brechen, um endlich über etwas sprechen zu können, das nicht krankhaft und nicht falsch ist. Es geht darum, das „Ausmaß [der] Verderbtheit“ zu schildern und sich insgeheim erregt an Selbiger zu reiben, eben weil das Tabu unangetastet bestehen bleibt. Hierzu wird das Ideal einer sexuell völlig unerfahrenen jungen Frau stilisiert, die nicht nur sich, sondern auch ihre Sexualität dem Manne unterwirft und deren Unmündigkeit (immerhin kriegt sie ‚im Mündlichen‘ die Note 1 von ihm) nicht im Geringsten problematisch erscheint. Das, meine Damen und Herren, ist traurig. Die sexuelle Unterwerfung ist eine hohe Kunst, zu deren Ausübung es zweier äußerst willensstarker Partner bedarf, denn der Sinn liegt nicht darin, einer schwachen Frau den eigenen Willen aufzuzwingen, sondern eine starke Frau dazu zu bringen, schwach sein zu wollen. Das Problem liegt also nicht im Thema – darf sich eine Frau in Zeiten der Emanzipation gern unterwerfen? – , sondern in der falschen Darstellung. Dass die Leserinnen hierin kein Problem sehen, ist nicht darauf zurückzuführen, dass sie in feministischer Sicht bereits jenseits von Gut und Böse sind, sondern deutet darauf hin, dass hier nicht maßgeblich der Wunsch nach sadomasochistischen Praktiken im Vordergrund steht. Das ist nur die kleine Prise Würze und Tabu, die das Gefühl vermittelt, etwas Unanständiges zu tun. Hätten wir es mit mental erwachsenen und sexuell selbstbestimmten Frauen zu tun, könnte dieses Gefühl jedoch gar nicht erst aufkommen. Weder Tabubruch noch Backclash können also als Erklärungsmodelle für den Erfolg dieses Romans herhalten. Was Millionen von Frauen dazu treibt, nur durch sexuelle Implikationen von Teenieromanen zu unterscheidende Bücher und Filme zu verschlingen, ist ein tiefsitzender Wunsch nach Vereinfachung, danach, nicht schuld zu sein und keine Verantwortung übernehmen zu müssen, im Endeffekt nach unschuldiger Kindlichkeit. Nur die Sache mit dem Sex wird als scheinbar einzige lohnenswerte Errungenschaft des Erwachsenendaseins noch mit hinübergerettet, aber bitte erst nach einer umfassenden Säuberung von allen realistischen und damit unangenehmen Zügen. Nicht der Feminismus ist diesen Frauen zu kompliziert, sondern die gesamte Welt ist es. Sie sehnen sich zurück in die Zeit einfacher Kategorisierungen und abgedroschener Romantikvorstellungen, fernab der ernüchternden Enttäuschungen, die das Leben jenseits der Pubertät bestimmen. Erotik ist hier nur eine Spielart, das tatsächliche Anliegen heißt Flucht. Wie schon erwähnt, ist eine temporäre Flucht etwas Herrliches, und Literatur ist letztendlich nichts anderes. Schwierig wird das Ganze erst, wenn nicht in die Passion geflüchtet, sondern die Flucht zur Passion wird.

Positiv hervorzuheben bleibt, dass sich Fifty Shades of Grey in rasantem Tempo lesen lässt. Die große Zahl der Fließband-Leserinnen kann hier die gewohnt raschen Fortschritte verbuchen. Ansonsten haben wir es mit einem alles andere als vielseitigen Roman zu tun. Es gibt keine facettenreiche Story und am wenigsten gibt es fünfzig verschiedene Facetten des Christian Grey. Er ist schlicht das Abziehbild eines – übrigens klassisch von Frauen imaginierten! – Stereotyps, ergänzt um exakt nur eine einzige Facette: seinen Hang zur Dominanz. Anastasia Steel fehlt es schließlich sogar an dieser Einen. Um abschließend die wundervolle Verballhornung zu zitieren, die das TITANIC-Magazin in einem völlig anderen Kontext verwendet hat: Extrem lau und unglaublich blah. Aber doch besorgniserregend.

Mirka Uhrmacher

Über falsch verstandene Treue
und neoromantische Antifolklore

von: Johannes Finke

“Nicht Untreue zerstört unser Beziehungsleben, sondern falsch verstandene Treue. Das muss sich ändern.” So leitete die Autorin Michéle Binswanger in der ZEIT ein Manifest(chen) unter der Überschrift “Die große Lüge” ein und sie steht damit nicht alleine da.

Weiter weiter lesen

Feminismus muss dahin wo es weh tut und das pseudo-religiöse Dogma der ehelichen Monogamie als männliches Behauptungswerkzeug ist für viele keines mehr, dass noch Anspruch hat dem gerecht zu werden, was wir leben und leben wollen. Oder zumindest viele. Oder einige. In einer Stadt lebend, in der Sex und Sehnsucht ständig und allerorten kollidieren, hat man oft das unangenehme Gefühl Zeuge von Unzulänglichkeiten zu werden. Das alles macht bei dem Thema nicht unbedingt Mut. Doch sollte es in erster Linie nicht um andere gehen, sondern um Selbstbestimmung und was man für Folgen daraus zieht. Nur dann kann man auch Vorstellungen entwickeln, die einen durch die Liebe leiten.

Auch der ZEIT-Autorin Michèle Binswanger ist bewusst (und das hat nichts mit ‘Eingeständnis’ zu tun), dass viele Menschen eine Sehnsucht nach Familie und Heimat in sich tragen, eine Sehnsucht von der viele glauben, dass sie vervollständigt, glücklich macht und der eigenen Existenz mehr Sinn verleiht, vielleicht sogar erst dann überhaupt Sinn verleiht. Ein Metaprogramm, das einsetzt, wenn man daran denkt gemeinsam mit jemandem Kinder zu haben. Wahrscheinlich beginnt da der monogame Gedanke sich als Ideal auszubreiten. Sich dann vorzustellen, man lebe in einer Beziehung, einem familienartigen Verbund, in dem letztendlich egal ist wer der biologische Vater ist, ist schwer vorstellbar. Zumindest geht mir das so. Mit was sich Menschen abfinden können ist eine andere Frage. Auch was Zeit und Anstrengung mit einem machen. Auch wenn mich die Vorstellung wie meine Freundin mit jemand anderen fickt bzw. dabei zu sein oder auch andere Szenarien mich zuweilen geil machen ist die Vorstellung sie führt bei einem Glas Wein mit jemand anderen intellektuelle Gespräche, fängt irgendwann dann an mit demjenigen zu knutschen und geht mit ihm heim, keine die mir gefällt und mit der ich glaube mich (zum jetzigen Zeitpunkt) anfreunden zu können. Das normative Moment geht meiner inneren Haltung ab. Erstmal möchte ich dass wir glücklich sind und uns glücklich machen. Die kleinstmögliche Einheit an Vertrauen. Der Kern gegenseitiger Zuneigung. Falsch verstandener Hedonismus ist da fehl am Platze.

Doch ich habe auch manchmal Lust auf andere Frauen, meistens weniger intellektuell (doch auch aus der intellektuellen Spannung kann Sex entstehen), sondern musisch und sexuell. Ich habe auch manchmal Lust Heroin zu nehmen oder jemanden eine ordentliche Abreibung zu verpassen. Aber ich mache es nicht, weil ich glaube, dass Freiheit sich in jedem Moment neu hinterfragen muss. Ich glaube, will man ‘Vorleben’ , weil man verändern möchte, muss man sich erst ‘Einleben’. Das Gefühl jemanden nicht ausfüllen zu können und deshalb teilen zu müssen, stelle ich mir nicht schön vor. Die Idee sich gegenseitig glücklich zu machen und Glück zu gewähren kann was anderes sein. Es geht um die Fragen ‘Was ist Ersatz?’ und ‘Was ist Ergänzung?’ und was man davon für sich akzeptieren kann.

Ich glaube um aus dem ‘Korsett’ der Monogamie entfliehen zu können, muss man Monogamie verstanden haben. Nur dann kann man Muster überwinden, die einen daran hindern sich frei und ausgefüllt zu fühlen. Und dann ist das Befreien der Sexualität aus der Ehe für alle Paare, die den Auftrag zu verändern, den Feminismus und den eigenen Erlebnishorizont ernst nehmen, oberste Bürger-, Hipster- und FeministInnenpflicht. Über das gemeinsame ‘Stopfen’ von Wissens- und Erfahrungslöchern kann man vielleicht gemeinsam an Punkte kommen, die es erlauben Dinge andenken zu können. Das Fleisch ist bekanntlich willig. Manchmal langt es ehrlich zu sein.

Letztendlich besteht trotzdem stets ein Ungewicht zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Man wäre gerne viel lockerer als man ist. Speziell in Berlin. Hier blühen die Neurosen in jedem Grünstreifen. Trotzdem, man möchte zeigen, dass man sich nicht mit dem zufrieden gibt, was Gesellschaft einem als Lösung vorschlägt. Man hat das Gefühl, es wird dem eigenen Lifestyle, den man im Begriff ist zu finden, nicht gerecht. Doch ich glaube um einen Wertewandel anzustoßen, darf man nicht die Hoheit über das eigene Handeln aus der Hand geben. Man muss den leider oftmals qualvollen Weg der Selbstfindung gehen. Die Moodmap ausbreiten, die Hashtags in den Rucksack packen und los gehts! Protest richtet sich auch immer gegen das eigene Glück, weil visionäres Bewusstsein auch den gesellschaftlichen Realitäten und der eigenen Zufriedenheit gerecht werden muss und die entspricht im Regelfall nicht dem Ideal. Nach wie vor glaube ich, dass es speziell in unserer offenen, globalen, kommunikativen und Ich-bezogenen Welt wahnsinnig schwer ist (und immer schwerer wird) Modelle zu finden, die es ermöglichen, dass Menschen sich grundlegende Fragen stellen. Dazu gehört zum Beispiel auch der oben angerissene Komplex, warum man irgendwann zu einem gemeinsamen Kinderwunsch kommt. Und grundlegende Fragen und der Versuch sie zu beantworten enden nun mal in der Phantasiewelt, in der Religion, in Weltanschauung, in Momenten in denen Metaphysik und Glauben mit zivilisatorischer Vernunft kollidieren. Unsere Waffen sind Rationalität und Hedonismus. Und vielleicht eine Form neoromantischer Antifolklore, deren Mäanderungen noch unabsehbar sind. Glaube und daraus resultierende Dogmen, Erlösungs- und Heilversprechen scheinen wahnsinnig schwer zu schlagen. Man munkelt der Papst bereiste jüngst Kuba, weil Fidel sich rückbesinnend auf seine Erziehung und dem Tod ins Antlitz blickend wieder dem Glauben zuwendet. Doch das geht jetzt zu weit.

Am Ende bleibt einem Liebespaar – modern, aufgeschlossen oder im Klischee verhaftet – nur die Chance dem Gefühl, dass man für- und miteinander empfindet, gerecht zu werden. Allein das ist schon Aufgabe genug. Doch zuerst natürlich Welt retten, Ego in Sicherheit bringen und sich so richtig austoben. Hier, in Berlin. Wo wir alle so edgy sind und dem Zeitgeist jeden Tag aufs neue beweisen wollen, wie sehr wie bereit sind, die uns auferlegten Fesseln zu sprengen. Wenn da nur nicht immer wieder diese Momente wären, in denen wir verwundet, verletzt und verlassen, ganz allein dasitzen und uns fragen, was wir denn diesmal wieder falsch gemacht haben. Denn Monogamie hat weniger mit Sex tun, vielmehr mit Verbindlichkeit und Vertrauen. Sex wird überschätzt. Das ist die Chance.

(Im Original erschienen bei: dasbiestberlin.blogspot.com)

Chris Boyd „15 Changes“

Chris_Boyd_cover

Chris Boyd, Jahrgang ‘89, ist mit seinen jungen Jahren zwar schon ein länger in der Berliner Houseszene unterwegs, man darf ihn aber dennoch ohne Zweifel als echten Newcomer bezeichnen. 2010 startete er eine Veranstaltungsreihe im Namen des House, legte zusammen mit Szenegrößen wie Oliver Gehrmann, Patryk Molinari, Marc Poppcke und vielen anderen auf und saugte sich seine Inspiration zwischen der heimischen Clubwelt und vor allem der bebenden UK Garage Szene in Bristol.

Weiter weiter lesen

Nun legt der Berliner sein erstes vollständiges Set vor. Die Elektroaktivisten kürten es bereits zum Set der Woche und wir ziehen gerne nach: „15 Changes“ beschreibt die Verwandlung von groovigem House zu tieferen Ebenen der Clubszene. Dabei liefert die erste Viertelstunde Deephouse Tracks, bevor der Vibe sich durch dröhnende Percussion-Grooves und hämmernde Bässe in ein energetisches Inferno wandelt. Wer neugierig geworden ist, kann sich das Set hier anhören.

Das Booking von Chris Boyd hat übrigens das Kollektiv von Fabelwesen Berlin übernommen. Nicht die schlechteste Referenz – man wird den jungen DJ also in Zukunft sicher öfter an den Turntables der Hauptstadt bewundern dürfen.

Till Erdenberger

Urlaub in Berlin

von André Krüger

Es ist Sommer und warum im Sommer nicht dorthin fahren, wo es schön ist? Nach Berlin. Das ist naturgemäß kein richtiger Urlaub, wie man ihn im Katalog bestellt; mit Strand und Meer oder Bergen und Schnee. Ich war schon einmal hier für ein paar Jahre, es ist noch nicht allzu lange her, das ist gut, denn so bin ich, obschon hier alles ständig im Wandel ist, noch einigermaßen orientiert. Kein Strand, keine Berge, kein Ortswechselschock – das ist gut.

(mehr…)

„Wenn die Nacht am stillsten ist”
von Arezu Weitholz

arezu-weitholz

erscheint im Verlag Antje Kunstmann am 5. September

Es ist nicht so, als ob auf die klischeehafte Oberflächlichkeit der Irgendwasmitmedienbranche nicht schon exzessiv drauf gehauen wurde, aufschlagen, zuschlagen, immer wieder. Bücherweise. John Niven meisterlich und mit unfassbar anarchischem Mitekelhumor in „Kill Your Friends“, Frédéric Beigbeder ebenso meisterlich und abgrundtief fesselnd in „39,90“ und viele andere in Schattierungen oder Ableitungen. Aber keiner hat es bisher geschafft, so eloquent, so menschlich und so greifbar über die zwischen Konsumterror und der Suche nach einem höheren Sinn gefangenen selbst ernannten Opinion Leader zu schreiben, wie die Berlinerin Arezu Weitholz in „Wenn die Nacht am stillsten ist“, ihrem jüngst im Verlag Antje Kunstmann erschienen Romandebüt.

Weiter weiter lesen

In einem Kammerspiel lässt sie Anna, unpoetisch aber romantisch, optimistisch aber beladen mit einer schweren Vergangenheit und anstrengender Gegenwart, am Bett ihres stillen und beinahe regungslosen Partners Ludwig eine Lebensbeichte ablegen. Ludwig, Medienmensch, Hedonist, poetisch aber gefühlskalt, liegt in einer Art Wachkoma und gibt keine Widerworte, während Anna ihm, sich und uns von einer bezaubernd unverdorbenen Warte aus ihr eigenes und das gemeinsame Leben erzählt. Dass beide Geheimnisse voreinander hatten, die nun zur Sprache kommen oder alte und neue Wunden aufreißen, die Entwicklung ihrer Beziehung und die Frage, ob Ludwig absichtlich eine Überdosis Schlaftabletten genommen hat, um aus dem Leben zu scheiden, das für ihn beruflich eine Wendung zu nehmen schien, ist das dramatische Moment, der dramaturgische Faden, der den Roman am Laufen hält. Leben eingehaucht bekommt er aber vor allem durch die Wort-, nein, die Satzmacht der Autorin, die dieses Werk selbst dann außergewöhnlich machte, wäre es eine bloße Aneinanderreihung von Sätzen. Weitholz versammelt in „Wenn die Nacht am stillsten ist“ Sätze von so absoluter und gleichzeitig nonchalanter Schönheit und Wahrheit, dass man sie gerne absätzeweise mit jemand ganz besonderem teilen möchte. Dass sie dabei meistens unerfreuliches oder wenigstens unappetitliches transportiert, spielt für Momente keine Rollen. Form und Funktion gehen bei der Autorin meisterhaft Hand in Hand und wenn sie ihre Protagonistin bittere Wahrheiten in Sätzen aussprechen lässt, die auch der Refrain deines neuen Lieblingslieds sein könnten, dann ist das reine Berechnung. Und natürlich soll die romantische Anna mit all ihren Problemen, ihrer Vorgeschichte, ihrem Lieben und ihrem Verlassenwerden der Gegenentwurf zum verlassenden, zum kalten und nur sich selbst und die Symbole des Konsums und der Hochkultur liebenden Ludwig sein, ein guter Mensch, vielleicht sogar so etwas wie eine sympathische Verliererin. Charakterfest selbst in der Krise, barmherzig vor allem gegenüber anderen. Wenn es in dieser Geschichte einen Sympathieträger geben würde, denjenigen, auf den man alle seine Empathie verwenden würde, dann wäre es nicht Ludwig.

Versuchte Arezu Weitholz also ein Plädoyer für die Überlegenheit der emotionalen Tiefe gegenüber der hedonistischen Oberflächlichkeit zu halten? Wohl kaum. Ihr Buch lässt am Ende keine Gewinner übrig, aber vielleicht wenigstens ein bisschen Hoffnung. Hoffnung, dass der Schein dem Sein höchstens ein Spiegel ist, die Fläche für Reflektion und die Möglichkeit zur letztendlichen Erkenntnis, dass alles Leben nur einem Punkt zustrebt. Und an diesem Punkt ist es Zeit, die Karten auf den Tisch zu legen.

Till Erdenberger

zalando.de - Schuhe und Fashion online