Archive for Oktober, 2012

Ein unmöglicher Versuch
mit Sibylle Berg

Sich einer Großmeisterin wie Sibylle Berg zu nähern ist schwerig. Nach reiflicher Überlegung kam ich zu dem Schluss, dass es mir schließlich nie so gelingen würde, wie ich wollte. Aus diesem Grund strich ich all meine Fragen auf zehn Wörter zusammen, in der Hoffnung, sie würde das verstehen. Und hier lesen sie das Ergebnis:

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Schriftstellerin?

Wollte ich seit ich 5 war werden. Weil – ja vermutlich weil ich Angst vor Lokomotiven hatte. Tja, da denken Sie jetzt mal darüber nach. Geschrieben habe ich dann später tonnenweise Geschichten, 2 unveröffentlichte Romane, und der Antrieb war nur, besser zu werden, so gut, dass ich irgendwann sagen würde: “So, dass ist jetzt mal richtig gut. Inhalt und Form stimmen, ich sage alles, was ich wollte, und die Menschen tragen mich auf Händen für die Warheit, die ich Ihnen geschenkt habe.” Das wird wohl nie passieren.

Schweiz?

Westdeutschland war mir zu groß. Oder ich weiss nicht. Nach der DDR habe ich einen Ort gesucht, an dem ich keine Angst haben muss. Ein wenig pathologisch, ich gebe es zu. In der Schweiz habe ich mich immer wie in einem Schaumbad gefühlt. Nicht wegen der Steuern des Reichtums, eigentlich ist das Land zu teuer für Künstlerinnen. Aber es hatte immer mein Tempo, der Humor der Menschen entsprach mir mehr. Irgendwie so etwas ungreifbares.

Reisen?

Nachdem ich lange Zeit die Welt besichtigen musste, um ein wenig zu verstehen, Kriege und Armut und alles, was anders ist als bei uns, sehen und begreifen musste, muss ich das heute zwingend nicht mehr. Ich fahre nur noch gerne an Orte, die ich kenne, und an denen mir wohl ist.

Buchmessen?

Kotz.

Toto?

Mein Idealmensch.

Leben?

Eindeutig zu kurz. Erst weiss man nicht, wer man ist und wo und mit wem und warum. Und wenn man das herausgefunden hat, muss man auch schon langsam den Sarg packen.

Autoren?

Wild durcheinander, zu allen Zeiten unterschiedlich wichtig. Upton Sinclair, Bret Easton Ellis, Murakami, Zola, Greer, Phillipe Djian.

Weiss?

Ich hab es eigentlich schwarz lieber, ich finde es lustiger in Punkkneipen (ok, die gibt es nicht mehr) als mit Engeln zu reden. Schwarzer humor, schwarze sachen contra weisse Lichtarbeiter.

Netzwerke?

Prima. Also online? Prima. Oder in Echtzeit? Prima.
Ohne andere ist das Leben doch komplett unerträglich. Große Liebe zum Internet, große Liebe zu Nerds, große Liebe zu all dem Raum im Netz, den ich noch nicht verstehe.

Genuss?

Dauernd. Wenn nicht Buchmesse. Ich bin der trägste, genussvoll vor sich hinsabbernde Mensch, den ich kenne.

zwei jungs und die kunst

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Mein bester Freund Roman und ich haben uns mal ein ­Wochenende geleistet. Wir sehen uns so selten im Jahr, er aus München, ich aus Berlin, dass es durchaus angemessen scheint, die Male, die wir uns sehen, zu zelebrieren und zu etwas besonderem zu machen. Deswegen haben wir unser Treffen auf einen Ort verlegt, den wir beide schon immer mal besuchen wollten: Die Documenta in Kassel.

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Ich hab schon viel davon gehört und mich zumindest beim letzten Mal wirklich geärgert, nicht da gewesen zu sein. Diese Versammlung von allem, was in zeitgenössischer Kunst Rang und Namen hat, in einem eher überschaubaren Örtchen wie „Kassel“, das find ich vom Konzept her schon ganz gut. Die ganze Stadt wird bespielt, aber die Stadt ist halt nicht groß. Super. Wie im Simpsons-Film, als diese riesige Käseglocke über Springfield gestülpt wird und nichts raus kann.

In meinen romantischen Vorstellungen haben Inspirationen an jeder Ecke auf mich gewartet: Nirgends ist man sicher vor einer eventuellen Performance, bei der sich eine nackte Frau mit einem bärtigen Mann auf einem Schimmel sitzend mit rohen Eiern bewerfend duellieren, mitten in der Fußgängerzone, zwischen McDonalds und Starbucks. Dazu ausgestellte Künstler, die nicht alles auf den Kopf stellen wollen, die aber zwingende Ideen haben, Ideen denen man anmerkt, dass sie aus ihnen raus mussten. Wie ein Kind, das raus muss, weil man es nicht länger ernähren kann im Bauch. Es ist fertig, es gehört jetzt auf die Welt. Kunst, die ich nicht sofort verstehe, vielleicht auch welche, die ich gar nicht verstehe. Aber die mich fordert. Die mit mir ein kleines Kämpfchen austragen will, eine Rauferei um Assoziationen, ein Schwitzkasten für Interpretationen. Um sich danach lachend die Hand zu geben und zu sagen, dass man gewonnen hat. Denn das soll natürlich auch Spaß machen. Ich liebe diese Hirn-Kämpfe. Und Krämpfe, klar, die auch. Mir kann ja nicht alles gefallen und das soll es gefälligst auch nicht. Mein ästhetisches Empfinden, das eine sehr weit ausgelagerte Schmerzgrenze hat, will beleidigt werden. Oder umarmt. Nur nicht links liegen gelassen.
Ich gebe zu: Das sind hohe Erwartungen. Aber das sind tatsächlich genau die Erwartungen, die ich für mich persönlich an Kunst stelle. Alles, was darunter liegt, ist gefällig. Dabei meine ich keineswegs, dass Kunst immer die überfrachtete Message haben muss. Meinetwegen kann die manchmal auch einfach nur gut aussehen. Ich will mit meiner Freundin ja auch nicht immer über die politische Weltlage diskutieren, manchmal freu ich mich ja auch einfach nur, wenn sie mir zum Beispiel ihre Brüste zeigt. Das ist dann die Lust an der Ästhetik, für Kunst (und Beziehungen) eine nicht zu vernachlässigende Größe.
Ich habe im Vorfeld relativ bewusst wenig über die Documenta gelesen, ich wollte das erstmal vor Ort auf mich wirken lassen. Ich hab zwar mitbekommen, dass die künstlerische Leiterin Carolyn Christov-Bakargiev hier und da kritisiert wurde, aber in meiner Erinnerung war das bisher bei jeder Documenta so und vielleicht kann das ja auch gar nicht ausbleiben, wenn man so eine große Schau verantwortet. Irgendwer fühlt sich da ja immer auf den Schlips getreten und irgendwie mag das ja vielleicht auch der Sinn und die Kraft einer solchen Veranstaltung sein. Ins Blaue gemutmaßt.

Mein ästhetisches Empfinden,
das eine sehr weit ausgelagerte Schmerzgrenze hat,
will beleidigt werden.
Oder umarmt.
Nur nicht links liegen gelassen.

To cut a long story short: Nachdem ich nun die Documenta gesehen habe, würde ich die Dame auch kritisieren. Klar, niemand ist alleine für so eine Geschichte verantwortlich, aber Part ihres Jobs ist es ja auch, die Kritik an der Schau auf sich als Person zu bündeln und Kraft dieses Amtes muss ich ihr bescheinigen, vielleicht eine sehr langweilige Person zu sein, die irgendwie nichts zu sagen hat, aber denkt, sie müsste dringend was zu sagen haben, weswegen sie sich eine Botschaft auf den Bauch schnallt und damit durch Kassel rennt, in der Hoffnung, dass man sie nun als sehr politisch wahrnimmt. So kam das bei mir an.

Okay, ich hab nicht alles gesehen. Ich würde gerne wissen, ob überhaupt irgendjemand alles gesehen hat. Diese Ausstellung erschlägt einen mit so einer Masse an Kunst, auf die ganze Stadt verteilt, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll oder weiter machen oder aufhören. Man beginnt zu filtern, sich quasi seine eigene Ausstellung zusammenzubauen, die natürlich, man will ja offener Kunstinteressierter sein, auch Sachen berücksichtigt, die einem erstmal komisch vorkommen, aber im Großen und Ganzen dann doch eher das abdeckt, was einen wirklich interessiert.

Ein paar wenige Arbeiten haben es mir dann aber auch angetan:

Ontem, areias movediças
(Gestern, Flugsand)
von Renata Lucas

Die brasilianische Künstlerin hat eine Arbeit gemacht, die aus einem schönen und beeindruckenden praktischen Teil besteht, der auch das Erste war, was ich davon gesehen hab: Im Keller des Fridericaneums, des zentralen Ausstellungsortes der Documenta, sind an den holzvertäfelten Wänden dieses „klassischen“ Gewölbekellers (der so deutsch anmutet, dass man sich vorkommt wie im „Rathaus-Keller“, einer Lokalart, die es vermutlich in jeder (west)deutschen Kleinstadt gibt – oftmals auch nur „Ratskeller“ genannt) plötzlich ganz glatte und schräge Betonflächen, die weit in den Raum hineinragen. Das hat mich beeindruckt, die sahen toll aus. Dieser graue Beton, das hat auch eine gewisse Macht, eine bestimmte Kraft. Vor allem wenn der so in den Raum hineinläuft. Das ist so brachial. Beton kann man auf alles drauf machen und es wird sofort auch zu Beton. Daran hab ich totalen Spaß gehabt. Eine wirklich tolle Arbeit. Aber vor allem war es das noch gar nicht. Abends in unserer Schlafstätte (ein Zimmer in einem studentischen Öko-Pavillon, erbaut von Architekturstudenten) hab ich im Katalog noch gelesen, um was es Lucas eigentlich ging mit ihrer Arbeit: Diese Betonfundamente waren noch an zwei anderen Orten am Friedrichsplatz zu finden, nämlich im Keller des örtlichen Kaufhofs und in einem Privathaus. Zusammen ergeben sie die Ecken des Fundaments einer Pyramide, die so theoretisch über dem Platz liegt. Wie cool! Ich hab mich gleich noch mal so sehr über die Arbeit gefreut, als ich das gelesen hab. Viel später hab ich noch gelesen, dass in den Betonkonstrukten W-Lan-Router versteckt waren, mittels derer man sich auf einem Smartphone oder iPad oder so bestimmte Videos angucken konnte, die zeigen wie … ich hab’s schon wieder vergessen. Warum muss man die eigene Arbeit so überfrachten?

d(13)pfad
von Natascha Sadr Haghighian

Zugegeben: Bei dem Namen der Installation von Haghighian möchte man gar nicht meinen, es mit einer kreativen Person zu tun zu haben, aber ihre Arbeit für die Documenta war tatsächlich die spannende Umsetzung einer guten Idee: Die Karlsaue, diese riesen Grünanlage mitten in der Stadt, liegt tiefer als der Rest der Stadt und ist deshalb nur über lange Treppen oder Wege zu erreichen. Mitten in die Böschung hat die Berliner Künstlerin einen Trampelpfad angelegt, den man von der oberen Strasse aus sogar nur mit einer Leiter erreicht. Wenn man diesen Trampelpfad entlanggeht, hört man aus in den Gebüschen versteckten Lautsprechern allerlei von Menschen nachgemachte Tiergeräusche, die sich herrlich bescheuert anhören. Das alleine hätte mir schon gereicht. Ließe ja zur Not auch genügend Interpretationsspielraum – als Kommentar, wie der Mensch sich der Natur aufdrängt zum Beispiel. Aber dahinter steckt noch mehr, wie ich auch in diesem Fall erst später nachgelesen hab: Die Aufnahmen der Tiergeräusche sind „onomatopoetisch“ (geiles Wort für Galgenmännchen): Also Tierlaute aus verschiedenen Sprachen. Während wir für den Hund „Wau Wau“ sagen, sagen ja englischsprachige Länder zum Beispiel „Woof Woof“ und so weiter. In dreißig verschiedenen Sprachen tönt es auf dem Pfad aus dem Gebüsch, eingesprochen von Migranten aus Kassel. Dazu noch die Tatsache, dass die Böschung eigentlich auf Schutt aus den Nachkriegsjahren basiert und die ersten Migranten in Kassel noch in den ehemaligen Zwangsarbeiterlagern untergebracht wurden, während man auf den Trümmern des Krieges 12.000 Rosen pflanzte. Mit dem Wissen im Hinterkopf, bekommt der Pfad noch eine spannende Meta-Ebene, mit der man sich zwar nach der Ausstellung nie wieder beschäftigen wird, aber für den Moment reicht das ja vielleicht auch. Schöne Arbeit.

Dabei meine ich keineswegs,
dass Kunst immer die ­überfrachtete
Message haben muss.
Meinetwegen kann die manchmal
auch einfach nur gut aussehen.
Ich will mit meiner Freundin ja auch
nicht immer über die politische
Weltlage diskutieren,
manchmal freu ich mich ja auch
einfach nur, wenn sie mir
zum Beispiel ihre Brüste zeigt.

Reflection Room
von Marco Lutyens

Die Künstler, die nicht in einem der Haupthäuser ausstellen, bekamen in der Karlsaue Hütten gestellt, die sie nach eigenem Empfinden bauen/umbauen konnten. Wie es ihr Werk eben verlangte. Eine besonders schöne Fleißarbeit ist dabei Lutyens gelungen: Die Hütte, die man betritt, ist eher etwas karg eingerichtet: Ein Kamin, ein Hocker, eine Hängelampe und ein getrübtes Fenster. Aber: Direkt darunter ist der gleiche Raum noch mal, in echt, aber gespiegelt. Der hat also ein Loch ausgehoben, auf dem Standplatz seines Pavillons und den exakt selben Raum nach unten noch mal nachgebaut. Super. Ein sehr lustiger Mindtwist, wenn man davor steht. Allerdings: Man kann nur von einer Brüstung nach unten gucken und sich den Raum ansehen. Das schadet leider dem Effekt, man wird nur noch Zuschauer und die Unechtheit ist sofort klar, man ist aus der Idee ausgeschlossen, durch ein Metallgeländer. Das hat mir den Spaß leider ein wenig getrübt. Aber dennoch: Toll, aufwendige Arbeit. Respekt dafür. Lutyens selbst hielt in dem Raum regelmäßig Hypnosesitzungen ab, was auch dem Werk selber entspricht: Er wollte damit versuchen das Unbewusste zu visualisieren und den Zustand während einer Hypnose greifbarer, erlebbarer machen. Wie gesagt: Wenn man den Raum wirklich hätte erleben dürfen, hätte das vielleicht auch geklappt. Bleibt aber auf jeden Fall gut in Erinnerung.

The Importance of Telepathy
von Apichatpong
Weerasethakul

Eine riesige Statue eines Geistes, der wie aus einem asiatischen Geisterfilm entsprungen aussieht. Das war die Arbeit, die Roman unbedingt sehen wollte. Und nachdem wir ein wenig ziellos durch die Karlsaue gestolpert sind, haben wir sie auch endlich gefunden: Prominent mitten auf einer Lichtung steht sie, als hätte sie schon immer dort gestanden. Eingerahmt von großen Bäumen, von denen einige auch noch Hängematten zum ausruhen anbieten. Schön. Die Statue selbst sieht toll aus. Wie so asiatische Geisterfiguren eben immer so aussehen: Man ist sich nie sicher, ob man sich gruseln oder amüsieren soll. Und genau mit dieser Gratwanderung spielen die Geschichten ja üblicherweise auch. Die Angst vor der Metamorphose (des Anderen) ist ein oft verwendetes Stilmittel in asiatischen Erzählungen. Damit spielen diese Figuren, die eigentlich wie Schrumpelomas aussehen, die aber immer ein bedrohliches Moment des „jetzt werde ich gleich zum Monster“ haben. Die Statue in der Karlsaue funktioniert auch so. Riesengroß, weiß wie ein Gespenst, taucht sie plötzlich im Blickfeld auf. Alles bedrohliche, „gruselige“ Eigenschaften. Aber dieses schrumpelige Gesicht mit einem dicken Auge, davor muss man doch eigentlich keine Angst haben! Leichtes, angenehmes Unwohlsein beschleicht einen. Und diesen Gegensatz zu spüren, das ist spannend. Dass der Geist auch ein Mahnmal für die Menschenrechtsverletzungen in Thailand sein soll, wirkt wie draufgesetzt, um dem Werk noch politische Bedeutung zu verleihen, weil das auf der Documenta alle haben. Das braucht es aber gar nicht und kann getrost ignoriert werden. Ohne so eine politische Interpretationshilfe funktioniert die viel besser.
Das waren die ausstellerischen Highlights. Die Organisation rund um die Ausstellung ist großartig, alles hat reibungslos geklappt. Aber meine erste Documenta lässt mich mit einem riesigen Fragezeichen zurück. Gar kein spannendes, das mir dabei hilft, Fragen zu finden, von denen ich gar nicht wusste, dass ich sie mir stellen könnte. Ich hab auch meinen Blick auf die Welt nicht geändert oder wenigstens in Frage gestellt, noch hab ich ihn bestätigt bekommen. Das wäre alles auch gar nicht so schlimm, hätte ich nicht das Gefühl gehabt, das die Documenta das aber von mir erwartet. Ich finde die Auswahl der Künstler und Arbeiten war sehr lahm, sehr zahnlos. Da war nichts zwingendes dabei, nichts was mich geschüttelt hätte. Es war eher ein gegenseitiges Versichern, dass man ja auf der richtigen Seite sei. Dafür brauch ich aber keine Kunst, das kann man auch einfach schreiben zum Beispiel. Ich hatte bei den meisten Auftragsarbeiten das Gefühl einer großen Inspirationslosigkeit. Geradezu einer Leere. Nun mag Kassel, das wirklich nett war, auch nicht zu den inspirierendtsten Orten der Weltgeschichte gehören, aber dann muss man einen anderen Weg finden, dort seine Kunst zu präsentieren. Die Arbeit von Thomas Bayrle beispielsweise, der eine riesige Ausstellungsfläche in der Documenta-Halle bekommen hat, auf der er Motorenteile, Reliefs aus Plastikbahnen oder Flugzeugbilder aus Flugzeugteilen präsentierte, war so unglaublich langweilig, dass ich mich kurz fragte, ob ich aus Versehen im technischen Museum gelandet sei. Da ist es wieder: Dieses ungute Kunstbetriebsgefühl, dass sich die Leute da hauptsächlich gegenseitig auf die Schultern klopfen und jeder erstmal seine Homies unterbringt, bevor man sich überlegt, was man eigentlich will.

Da war nichts zwingendes dabei,
nichts was mich geschüttelt hätte.

Noch mal: Grundsätzlich finde ich es gut, eine solche große Ausstellung sehr politisch anzugehen und aufzuladen. Ein Stück weit ist das sogar ihre Pflicht, denn nichts generiert im Feld „Kunst“ mehr Aufmerksamkeit über Museums- und Galerie-Mauern hinweg, als die alle fünf Jahre stattfindende Documenta. Es wäre ein Frevel, das nicht für eine Message zu verwenden. Aber ich hab das Gefühl gehabt, dass nur die Message die Message gewesen wäre. Es gab keinen klaren Standpunkt in der Auswahl, zumindest keinen für mich nachvollziehbaren. Es war ein Ausverkauf von verschiedenen, ähnlichen Haltungen. Kein Ausbruch, kein Infragestellen. Totale Durchschnittlichkeit, denn wenn sich eh alle einig sind, entsteht eine Sicherheit, die jeden Zweifel erstickt.

Es war ein Ausverkauf von
verschiedenen, ähnlichen Haltungen.
Kein Ausbruch, kein Infragestellen.

Ein paar schöne Arbeiten, neben den oben genannten, mehr aber auch nicht. Vielleicht waren Roman und ich blauäugig, aber da haben wir wirklich mehr erwartet. Ich bin auf die nächste Documenta gespannt. Und hoffe, dass sie mich ärgert, anstatt mir egal zu sein.

Immerhin: Ich hab ein lustiges Wochenende mit meinem besten Freund in einer uns beiden fremden Stadt verbracht. Das macht irgendwie alles sinnvoll. Dafür auf jeden Fall danke, Frau Carolyn Christov-Bakargiev. Über den Rest können wir gerne streiten.

Text: Nilz Bokelberg
Fotos: Roman Libbertz

Partyalarm in Berlin

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Kleine Quizfrage: Was haben der Photokünstler Anton Corbijn, die Elektropopper M.I.A. und die Indierocker Bloc Party gemeinsam? Okay, es war zu einfach: Alle Kreativen haben in diesem Jahr ein eigenes Etikett für die norddeutsche Biermarke Beck‘s designt. Wahrscheinlich hatte jeder von euch schon eines dieser untypisch bunten Label in der Hand oder wurde wenigstens schon vom plakativen Flächenbombardement in den Deutschen Großstädten geblendet. Mit dem Ende des Jahres geht auch die „Art Label”-Zeit in ihre spannendste Phase und steuert auf ein schönes Finale zum Anfassen hin. Denn Beck‘s spendiert mal wieder spannende Events und schicken ihre Labelkünstler auf die Straße. In Berlin: Bloc Party!

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Am 17.11. gehen die Briten endlich wieder ihrer eigentlichen Bestimmung nach: Rocken mit allen Tricks und Kniffen aber vor allen Dingen geradeaus und durch die Brust ins Tanzbein. Denn dann werden sie unter Schirmherrschaft ihres gerstensaftigen Teilzeitarbeitgebers in Berlin das E-Werk zum Kochen bringen. Die Tickets für dieses Events gibt es nicht zu kaufen, dafür aber zu gewinnen. Und so macht es doch gleich doppelt so viel Spaß. Ist dein Interesse geweckt? Bist du schon im Fieber? Ist das erste Beck‘s schon gelupft? Dann surfe gen becks.de und wirf dich ins Rennen um einen der begehrten Plätze.

In eigener Sache

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Die Themen im aktuellen Heft: Papa Roach, Jeff Koons, Oh Boy, das Modelabel Majaco, documenta, Emil Kozak, Fotografien von Samira Schulz und Fritz Kalkbrenner. Und das ist nur ein kleiner Ausschnitt aus 130 Seiten Gesellschaft, Diskurs, Disko. Alles nachzulesen hier.

Toro Embolao

Laut zischend steigt die Feuerwerksrakete dem Himmel entgegen, zieht einen Schweif Pulverqualm hinter sich her und explodiert mit einem lauten Donnerschlag. Das unverkennbare Zeichen, der 500 Kilogramm schwere Stier wird freigelassen und durch die engen Gassen und Straßen in die Stierkampfarena getrieben, in der er schließlich getötet werden soll. Männer werden ihren Mut beweisen, indem sie kurz vor dem Stier rennen, einziges Hilfsmittel zu Abwehr wird eine eingerollte Zeitung sein. Es ist Karfreitag, und wie jedes Jahr wiederholt sich die Toro Embolao in dem weißen andalusischen Dorf Vejer de la Frontera aufs Neue.

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Um das Spektakel besser beobachten zu können, habe ich mir einen sicheren Platz auf einem der Flachdächer errungen, von wo aus man einen guten Blick auf die Hauptstraße hat. Ich schaue auf die Männer hinunter, die ungeduldig von einem Bein auf das andere hüpfen und lausche den Klängen einer Blaskapelle, die spanische Volkslieder trompetet. Frenetischer Beifall brandet auf und um die Ecke hetzen die ersten Läufer, schwer schnaubend als wäre ihnen der Tod persönlich knapp auf den Fersen.
Der Tod ist in diesem Falle der Stier mit einer halben Tonne purer Muskelmasse, die direkt vor meinem Aussichtspunkt zum stehen kommt. Die blank polierten Hörner des Bullen blitzen im Sonnenlicht, sie sind lang wie der Unterarm von Hulk und so spitz, dass er damit Atomkerne spalten könnte. Zwei Männer hangeln sich zum Schutz auf einen Balkon, andere flüchten die Straße hinunter. Betrunkene locken den Stier mit roten T-Shirts in den Händen, dieser setzt zur Jagd auf seine Peiniger an und keine Sekunde später ist er meinem Blickfeld enteilt.

Um vielleicht noch mehr Einblicke erhaschen zu können, klettere ich vom Dach hinunter und durch die Eisenstangenabsperrung auf die Hauptstraße. Zusammen mit Einheimischen eile ich erwartungsvoll Richtung Stierkampfarena. Doch Lärm brandet auf, kurz darauf kommen uns schwer atmende Männer entgegen. Ich drücke mich an eine Hauswand, während die anderen Schutz hinter den Absperrungen zu einer Seitenstraße suchen.
Ganz klar, der Stier hat auf dem Weg zum Schafott eine Kehrtwendung vollzogen und hetzt nun die Hauptstraße zurück. Doch anstatt sofort zu flüchten, bin ich vom Anblick seiner majestätischen Anmut, von dem Spiel der Muskeln, seinem Todeskampf und dem Willen zu überleben so fasziniert, dass ich wie gelähmt bin. Der Koloss zieht mich magisch in seinen Bann und ist nur noch etwa 50 Meter entfernt. Menschen schreien, aber ihre Rufe dringen wie aus einem anderen Universum zu mir durch.

Dann geschieht das Erstaunliche. Der anstürmende Koloss hält im Kollisionskurs abrupt inne. Seine Hufe schlittern über den Asphalt, etwa zehn Meter vor mir kommt er zum stehen. Er hebt seinen wuchtigen Kopf und starrt mir mit allzu großen Augen entgegen. Ich blicke direkt in die Iris und erkenne in diesem kurzen Augenblick die Traurigkeit darin, sein Leid, die Tränen und den Schmerz über die Grausamkeit, die ihm hier angetan wird. Dann senkt er seinen Kopf und die Hörner verkörpern den Tod, die Schuld, Krieg, Gewalt und Hölle. Eine extreme Furcht überrollt mich, die mich unbewusst zum Handeln zwingt. Flucht ist der einzig überlebende Gedanke, ich will nur noch fort von hier, ganz weit weg von dieser Stadt.

Der Stier scharrt mit dem rechten Vorderhuf über den Boden, Funken sprühen, aus seinen Nüstern qualmt der Atem. Eine halbe Tonne Gewicht setzt sich in Bewegung, die zwei Hörner zeigen genau auf mein wild pochendes Herz. Und alles geht ganz schnell. Ich mache auf dem Absatz kehrt und hetze mit einer mit unbekannten Geschwindigkeit dem Gatter entgegen, hinter dem sich die entsetzte Menge verschanzt hat. Mit einem gewaltigen Satz springe ich auf eine der Eisenstangen und katapultiere meinen Körper über die Absperrung. Just in diesem Moment höre ich den Stier unter mir ins Eisen rammen. Es kracht laut, die Eisenstangen ächzen unter der Macht des Ansturms. Die Menge weicht zurück, ich fliege zu Boden und rolle mich über die Schulter ab. Mehrere Arme heben mich auf, jemand klopft mir erleichtert auf die Schulter.

„Mein Gott, ich lebe noch!“ rauscht es mir durchs Gehirn. Einen kurzen Augenblick waren der Stier und ich eine Seele, ein und dasselbe Geschöpf unter der Sonne der Lebenden. Meine Person allerdings darf weiter existieren, auf den Stier wartet nur noch der Tod. Der Sensenmann in Gestalt eines Toreros kappt alle Verbindungen, nichts bleibt zurück.
Und so überrollt mich eine tiefe Trauer und drängt mich durch die Massen zum Ortsausgang. Ich stelle mich an den Straßenrand und recke den Daumen empor. Als ein Auto hält und ich einsteige, um weit weg von dieser Stadt zu kommen, sticht ein Schwert durch den Nacken des Stieres bis hinein ins Herz. Die Menge in der Arena jubelt gierig auf. Der Stier sackt nieder auf die Knie und stirbt.

 

Selbstfindung zwischen den Zeilen

Indien Einleitung

Text & Fotografie Boris Guschlbauer

Die letzte Ausgabe der BLANK liegt nun schon etliche Monate zurück. Viel Wasser floss die Spree hinab. Zeit und Raum genug, um sich Gedanken zu machen, neu zu orientieren, Sinn zu suchen, sich selbst zu finden. Die Art Direktorin gründete eine kleine Familie und bekam ein süßes Kind, die Musikredakteurin suchte nach drei Tagen Pilgerweg eine Universität auf, die Moderedakteurin ging rüber in den Westen zu mehr Arbeit und Geld, der Fotograf blieb seiner Leidenschaft treu und gründete ein Studio, der Chefredakteur eröffnete eine der beliebtesten Szenebars von Berlin. Und wo blieb ich? Als Reiseredakteur wusste ich was zu tun war. Um Abstand zu gewinnen, kehrte ich Deutschland den Rücken. Und welches Land lag nicht näher auf der Hand als der indische Subkontinent. Hunderttausende Hippies folgten einst der Magie des Ostens, um ihren Geist zu erweitern und fanden meist nur billige Drogen. Ich war gespannt, was mich Jahrzehnte nach diesem Exodus erwarten würde. Hier nun die Selbstfindung in zehn Bildern.

Telekom Streetgigs mit Medina

TelekomStreetGigsMedina

Die Telekom Streetgigs kommen nach Münster in Westfalen und veranstalten dort mal wieder ein Konzert am außergewöhnlichen Ort. Ein kleines Ratespiel, wer wo spielt? Okay, drei Hinweise: Bässe gegen Bücher, Pop gegen Poesie oder auch Medina gegen Medea.

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Ganz genau, die dänische Dance- und Popqueen Medina wird der altehrwürdigen Stadtbibliothek in Münster zu neuen Weihen verhelfen und dort für eine ganz kleine Schar Glücklicher ein Popfeuerwerk zwischen leicht entzündlichem Material abfeuern. Wenn das die Bibliothekarin mitbekommt… Gut, dass das Konzert natürlich nach dem Tagesbetrieb stattfindet. Junge Klassiker wie „You and I”, „Forever”, “The One” oder “Gutter” gibt es am 02.12. auf die Ohren – aber nur für alle mit Bibliotheksausweis. Nein, stimmt nicht. Zugang zu diesem dänischen Abend der Extraklasse gibt es Ausnahmsweise auch ohne Ausweis. Allerdings nur für die Glücklichen, die auf www.telekom-streetgigs.de mitgemacht und einen Gästelistenplatz abgeräumt haben. Wir haben zwar keine Tickets, aber ein prima Medina-Fanpaket, bestehend aus Shirt, aktuellem Album und Poster der „Erleuchteten”.

Schreibt einfach – nachdem ihr euch in die Verlosungsschlacht für den Gig geworfen habt – eine Mail mit eurer Adresse und dem Betreff „Medina” an verlosung[at]blank-magazin.de. Wer das bis zum 31.10. schafft, ist bei uns im Pott.

Phillipe Djian

philippe-dijan

Bücher haben bei vielen meiner Freunde den Ruf, langweilig und einschläfernd zu sein. Umständliche Sätze, endlose Beschreibungen anstatt fesselnder Geschichten. Das muss verflucht noch mal nicht sein! Ein Ansatzpunkt. Durch den Bezug zum Autor oder die Hintergründe, warum dieser oder jener Roman geschrieben wurde, kann Verborgenes sichtbar und ein Buch zu mehr als einem Buch werden. Kinderleicht. Mir geht es jedenfalls so. Hier ein weiterer Versuch, ein Buch für dich lebendig zu machen. (mehr…)

In transit –
Fotografien von Samira Schulz

Samira Schulz, geboren 1980 in Wiesbaden, zog nach mehrmonatigen Aufenthalten in Südengland und Madrid ins damals noch rohe  und kreative Berlin des Prenzlauer Berg. Es folgte ein Studium an der University of the Arts, London College of Communication und der erfolgreiche Abschluss 2005. Nach sechs Jahren London zog es die junge Frau weiter.

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Nicht nur der Ton macht die Musik

Fritz_Kalkbrenner_press_2_by_Torben_Conrad

Fritz Kalkbrenner ist ein Wanderer zwischen den Welten. Oder nein, er ist vielmehr ein Mittler. Mit beiden Beinen knietief im Schweiß der traditionellen Clubszene stehend, streckt er die Arme aus, um sich festzukrallen an dem, was so oft missverständlich Mainstream genannt wird.

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Gemeint ist die Symbiose aus trockenen Clubbeats und organischen, bisweilen hymnischen Melodieparts. „In House gegossene Popmusik“ nennt das die Presseinfo und beschreibt das Werk des Berliners damit passend. Es ist fast ein bisschen grotesk: Denn mehr noch als Bruder Paul, der inzwischen jährlich in Berlin und dem Rest Deutschlands riesige Massenveranstaltungen zelebriert, steht Kalkbrenner der Jüngere für das massenkombatible Moment des Techno, ohne sich in die Gefilde des Trance zu verlaufen. Und womit der Berliner auf seinem gefeierten 2010er-Debüt „Here Today Gone Tomorrow“ begonnen hat, das führt er zwei Jahre später konsequent und noch ambitionierter fort: Fritz Kalkbrenner ist weiterhin der große Lyriker unter den Elektroproduzenten. Denn während die Kollegen aus dem kommerziellen Bereich Gesang höchstens als Klangfarbe, als weiteres Instrument einsetzen, geht es Kalkbrenner um weit mehr als das: Die Worte als eigenständigen Teil seiner Kunst. Ambitioniert und künstlerisch wertvoll. Im Folgenden über die Musik, die Wurzeln und was eigentlich wem gehört und wohin.

BLANK: Techno und Gesang – auf diesem Feld bist du Pionier, stehst ja fast alleine da. Glaubst du, die Technofreunde würden sich mehr Lyrics wünschen?
FK: Offen gesagt: Ich weiß es nicht. Bei mir war das Texten und Singen neben dem Produzieren immer ein integraler Bestandteil meiner Arbeit und ich habe nie davon gelassen.

BLANK: Und denkst du, dass da überhaupt etwas hängen bleibt?
FK: Auch hier: Ich weiß es nicht. Ich kriege aber oft gutes Feedback zu den Inhalten der Lyrics und darüber freue ich mich. Ich kann aber auch verstehen, wenn das einfach an den Hörern vorbei geht, weil die sich auf den physischen Aspekt der Musik konzentrieren wollen.

Ich könnte also einem übergroßen Fokus auf die Lyrics gar nicht gerecht werden.

BLANK: Wünschst du dir nicht manchmal beim Texten, Liedermacher zu sein? Der weiß, dass die Leute jedes einzelne geschriebene Wort aufsaugen und auswerten?
FK: Nein, absolut nicht. Denn dafür müsste ich eine ganz wichtige Komponente der Kunst vernachlässigen müssen: Das Produzieren. Ich könnte also einem übergroßen Fokus auf die Lyrics gar nicht gerecht werden, da ich ja zwischen den Stühlen stehe und beides bedienen muss und möchte. Dass man dann hier und da auch Abstriche machen muss, lässt sich nicht vermeiden. Das ist aber auch okay.

BLANK: Du bist einer der wenigen ganz großen Namen, die nicht auf eine beeindruckende Liste an Remixen blicken können. Warum?
FK: Ich habe nicht nur keine beeindruckende Liste an Remixen, sondern habe überhaupt noch keinen gemacht. Dass das so ist, hat sich über die Zeit entwickelt. Denn zuerst gab es einfach keine Anfragen und dann gab es auf einmal sehr viele. Irgendwo auf diesem Weg habe ich mich dazu entschlossen, nicht ohne weiteres Remixanfragen anzunehmen. Irgendwann hat sich diese Ablehnung verselbstständigt und die Latte, wer da kommen müsste, wurde ständig höher gelegt.

BLANK: Wer müsste denn nun kommen?
FK: Ich würde mich gerne an Motown-Einzelspuren wagen und mich über die her machen. Das ist aber auch wirklich schon ganz schön weit hergeholt. Um ehrlich zu sein: Dieser ­Gedanke des Remixens spielt bei mir einfach keine besonders große Rolle in der täglichen Arbeit. Das Selberproduzieren ist mir wichtiger. Aber wie gesagt: Wenn Motown kämen und mir ein paar Einzelspuren anbieten würden, dann würde ich wahrscheinlich nicht „Nein“ sagen.

BLANK: Gibt es Unterschiede bei deinen Sets weltweit? Lieben die Australier eine andere Dramaturgie als die Südamerikaner?
FK: Die Livesets hängen vor allem von meiner Befindlichkeit und meiner Tagesform ab. Dass die Dramaturgie sich nach dem Kontinent, der Stadt oder der Location richtet ist zumindest bei mir nicht so. Ich weiß allerdings nicht, ob das für oder gegen irgendetwas spricht, dass die Menschen auf der ganzen Welt gleich feiern.

BLANK: Wo siehst du den Techno denn überhaupt zuhause? In den Clubs, wo er her kommt oder doch auf den großen Open-Air-Veranstaltungen? Und warum?
FK: Eine Frage, über die sich die Traditionalisten und die besonders der Zukunft Zugewandten fröhlich die Köpfe einschlagen könnten. Natürlich kommt der Techno historisch betrachtet aus den Clubs, aber die Frage, wo er hingehört greift zu kurz. Man sollte aber doch weder das eine noch das andere kritisieren, sondern sich stattdessen lieber freuen, dass man die Chance hat, beides zu genießen. Es gibt ja auch durchaus grundlegende Unterschiede, denn während die Festivalsets auf die kurzfristigere Wahrnehmung setzen, haben die Sets in den Clubs einen längeren Spannungsbogen. Freuen wir uns unter dem Strich einfach, dass es sowohl die intime, als auch die großflächige Wahrnehmung gibt.

Es gab das ja auch schon, dass elektronische Künstler nach ihrer künstlerischen Wiedergeburt dann auf einmal mit einer Band auf der Bühne standen.

BLANK: Auf deinem neuen Album stehen wieder einige organische, analoge Instrumentenparts. Wie weit ist der Gedanke gediehen, mal mit Band ein Liveset zu spielen?
FK: Den Gedanken gibt es, er ist allerdings noch nicht sehr stark ausgeprägt. Ich überlege aber, auf der Tour zu „Sick Travelin´“ Livegesang in meine Liveshow einzubinden. Alles mit einer Band live umzusetzen halte ich aber nicht für den richtigen Weg bei mir. Das wäre eine zu starke Abkehr vom originären Gedanken der Clubmusik wäre, dem ich ja auch verbunden bin. Es gab das ja auch schon, dass elektronische Künstler nach ihrer künstlerischen Wiedergeburt dann auf einmal mit einer Band auf der Bühne standen. Das würde mir persönlich jetzt einen Schritt zu weit gehen. Ich möchte aber auch nicht kategorisch ausschließen, dass es so etwas auch bei mir mal geben könnte. Aber auf alle Fälle nicht so bald.

BLANK: Wie bist du denn überhaupt in die Elektroszene rein gekommen und fühlst du dich da zu 100% richtig aufgehoben?
FK: In die so genannte Szene bin ich auf eine ganz natürliche Art rein gekommen: Durch Freunde und natürlich meinen Bruder schon vor vielen, vielen Jahren. Die Liebe zur Clubmusik, sei es nun House oder Techno, war immer gleichberechtigt mit der zu Soul und Hip-Hop. Es war immer mehr sozusagen eine konzeptionelle Frage, wo die Musik am besten stattfinden kann. In meinem Fall ist die „Szene“ ein großer Zirkel von Freunden und Kollegen, die alle etwas ähnliches machen, wie ich. Und da ist mir oft aufgefallen, dass die sich in ihrer Wahrnehmung älteren Sachen gegenüber gar nicht so sehr davon unterscheiden, wie ich mich positioniere.

BLANK: Liest man Interviews mit dir, fallen als Einfluss oder „Helden“ deutlich öfter die Namen von Soul oder Hip Hop-Größen als die von Elektrohausnummern.
FK: Es ist gar nicht so außergewöhnlich, Elektroproduzent zu sein und sich daheim den lieben, langen Tag Hip-Hop- und Soulplatten rein zu pfeifen.

BLANK: In einem älteren Interview sagtest du, dass du die Deutungshoheit über deine Kunst verlierst in dem Moment in dem du sie veröffentlichst. Bereitet dir das nicht Bauchschmerzen? Gerade in dem Bereich, in dem es um deine Texte geht.
FK: Mit dem Verlust der Deutungshoheit gehen mir auch alle Ängste und Sorgen, wie mit meiner Musik und den Lyrics umgegangen wird, ab. Wenn ich mir Sorgen machen würde, dass die Wahrnehmung der Inhalte in einer Art und Weise stattfindet, die mir nicht gefällt, müsste ich mich entscheiden, die Sachen gar nicht erst zu veröffentlichen. Ein Künstler, der es nicht ertragen kann, dass seine Sachen auch kritisch besprochen und konsumiert werden, darf sie nicht veröffentlichen. So einfach ist das.

Davon, dass Fritz Kalkbrenner sich gottlob anders entschieden hat, kann man sich ab dem 19. Oktober überzeugen. Dann steht „Sick Travellin‘“ bereit, um unter die Lupe genommen und gedreht und gewendet zu werden. Und eigentlich muss sich der Friedrichshainer keine großen Gedanken machen, dass die Rezeption seines Werkes irgendwie aus dem Ruder laufen könnte. Denn das, was in den vergangenen Monaten in den frisch bezogenen Suol-Studios entstanden ist, knüpft da an, führt die Idee des Vorgängers mit einer Konsequenz auf ein neues Level, dass die Dancefloors schnell zu eng werden könnten. Kalkbrenner hat 14 Songs geschaffen, die zu organisch, zu physisch, zu greifbar elegant sind, dass sie zu schade sind, immer nur in der selben Szene zu zirkulieren. Ab Januar stellt Fritz Kalkbrenner sein Album in den Clubs vor.

Interview: Till Erdenberger | Fotografie: Torben Conrad

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