WAHLKAMPF IM PLISSEEKLEID

misswahl

Nur allzu gut erinnern wir uns an die Zeit als uns auf – in spätsommerliches verklärendes Licht gehüllten – Wahlplakaten die immer gleichen müden Gesichter ihr routiniertes Lächeln entgegen warfen. Während bei den Bundestagswahlen also alles nach Schema X verlief, hat sich im bunten Kreis der Misswahlen einiges getan. Gefängniskantinen ersetzen Beach-Resorts als Wettkampfstätten und statt nackter Haut gibt es flammende Manifeste. Wir hoffen auf ihre Vorbildfunktion.

Was macht man im Jahr 2009 mit einem latent zum Pessimismus neigenden Volk, dessen Generation der Zwanzig- bis Dreißigjährigen bereits zu Krisenkindern ernannt wurde? Diese Frage muss sich wohl Anfang des Jahres ein ganz bestimmter Berufsstand gestellt haben, worauf sich dann die nicht uneigennützige Beschäftigungstherapie „Wahljahr“ aus dem Hemdsärmel geschüttelt wurde.

Bis zu sechzehn Mal ließ sich das Thema dieses Jahr aufwärmen, zwischen den Gerichten wurde schön auf Sparflamme weiter geköchelt, damit wir ja nicht an etwas anderes denken würden. Das politische Wahljahr hatte die Aufgabe, uns den dunklen Weg zurück auf den Pfad der Tugend zu zeigen, runter von der mit Leuchtreklame gesäumten Autobahn der schnelllebigen Zerstreuungen.

Was aber wenn wir nun gar nicht hinunter wollen von dem bunt blinkenden Highway? Eine Verbindung aus Superwahljahr und Pop? Um diese zunächst konträr erscheinenden Begriffe Wahl und Vergnügen vereinen zu können, bedarf es einer intensiveren Untersuchung des Wahlbegriffs.

Wir wissen um die Geschichtsträchtigkeit der Bill of Rights von 1689. Ein Datum, dessen historische Relevanz –zu Unrecht – weitgehend in Vergessenheit geriet, ist der 19. September 1888, die Geburtsstunde des ersten europäischen Schönheitswettbewerbs.

Trotz dieser historischen Geburtsstunde im Herzen Europas, waren es unsere (damals noch „bored and beautiful“) Amerikaner, die den Misswahlentrend über den ganzen Globus katapultierten. Ende der 20er kam dann ein richtiger Exportschlager über den Teich. Ergänzend zur Weltwirtschaftskrise lieferten die Amerikaner uns gleich die Möglichkeit zum Eskapismus mit.

Schönheitswahlen sind wie kleine Enklaven einer glatteren und einfacheren Welt, sie folgen dem System der Komplexitätsverweigerung.

Uns scheint der Mikrokosmos bestehend aus Hair Extensions, Bademode und Weltfrieden genau so fremd zu sein wie die Passion der Engländer zu baked beens und hash browns. Ähnlich wie diese absolut abartige Frühstückstradition expandieren Schönheitswahlen um den ganzen Globus, nur dass sie meistens nichts mehr mit dem klassischen Verständnis eines Beauty Contests zu tun haben.

Die Misswahlen unserer Zeit beinhalten also weniger Weltfrieden und Extensions, als vielmehr Silikon und einen ärztlichen Geschlechtsnachweis.

Während wir nicht müde werden unsere Akzeptanz der gleichgeschlechtlichen Ehe zu betonen, haben die Thailänder einen ganz anderen Weg gefunden, sich der bunten Vielfalt der menschlichen Sexualität zu nähern. In keinem Land der Welt hat sich eine so große und öffentliche Transvestitenszene entwickelt. Ladyboys und Kathoeys scheuen nicht gerade die Öffentlichkeit und so war es nur eine Frage der Zeit, bis man ihr wirtschaftliches Potential entdeckte. Die Miss Tiffanys Universe Wahl in Pattaya ist längst zu einem Touristenmagnet geworden. Die Mitmachbedingungen entscheiden sich bis auf ein paar minimale Details nicht von denen konventioneller Schönheitswahlen. Die Kandidaten müssen der Spezies Transwoman angehören, also männlichen Geschlechts geboren, das Leben aber als Frau bestreitend, falls Geschlechtsveränderungen in Form von Operationen vorgenommen wurden, wird um eine Geburtsurkunde gebeten. Profilieren müssen sich die Teilnehmerinnen übrigens in den Kategorien „bestes Kostüm“, „Fotogenität“ und „unlimited sexy star“, na wenn das nicht mal eine willkommene Abwechslung zum roten Bikinishowlauf mit anschließender pseudosozialen Spontan- Fragestunde ist. Social Awareness ist der Transgender-Community natürlich eine Herzensangelegenheit und so soll der Contest die Toleranz gegenüber dem Geschlechts- und Liebespotpourri stärken.

Während sich die Japaner ja recht öffentlich zu ihren Fetischen bekennen und es nichts neues ist, dass sie in ihrer knappen Freizeit ganz gerne mal in Schulmädchenkostümen Karaoke singen, gelten die Chinesen da gemeinhin als etwas prüder, aber definitiv nicht als weniger einfallsreich. So krönen sie jedes Jahr die Miss Plastic Surgery. Die Anwärterinnen auf den Titel müssen nachweislich mindestens (!) eine Schönheitsoperation hinter sich gebracht haben, vielleicht sollte mal schnell jemand Frau Ohoven ein Flug buchen, dann hat die Gute endlich mal etwas richtig gemacht.

Wie reiner Mainstream wirken dagegen die bereits weit verbreiteten Schönheitswettbewerbe in den Frauengefängnissen dieser Welt. Von Brasilien über Litauen bis an den äußersten Rand Sibiriens, überall werden Overalls gegen enganliegende Synthetik getauscht. Auf den Oberarmen der Mädchen prangen Tattoos, die man sonst nur bei den Hells Angels vermuten würde. Umso faszinierender ist es, sieht man mit was für einem Ernst und Ehrgeiz die Wahlen vonstatten gehen. Angetreten wird in den Kategorien „Schreiben“, „Charme“ und „öffentliche Rede“. Für einen Moment sind die eisernen Gitterstäbe und kahlen Einzelzellen vergessen, dann werden aus Gefängniswärterinnen Stylisten und aus den sonst so bedrohlich am Gürtel von links nach rechts schwingenden Knüppel, der Schwung von schwarzer Mascara.

Wenn Schönheitswahlen als Publicity für Städte und Produkte funktionieren, gilt dann nicht auch das gleiche für Wohltätigkeitszwecke und die Politik? Ist die Gleichung so einfach? „Sex sells“, auch bei schwer verdaulichen Themen? Die Paradoxie der Misswahlen besteht darin, dass ihre Natur absolut apolitisch ist und sich gerade dadurch bestens als Projektionsfläche für verschiedenste Interessen anbietet.

Stürmten die Feministinnen in den 70er Jahren, ihren BH wie ein Lasso schwingend, Misswahlen und forderten ein Ende der weiblichen Fleischbeschauung und Objektivierung, werden heute Misswahlen für Frauenrechte initiiert.

Social Awareness heißt auch wieder mal das Zauberwort bei der Wahl zur Miss Landmine. Geschmacklos würde auch hier manch einer gerne rufen. Wie kann man den Inbegriff von Oberflächlichkeit und intellektueller Beschränktheit mit einem Thema in Verbindung bringen, das von so großer politischer Relevanz und Ernsthaftigkeit ist? Ist das nicht eine Zuschaustellung der Opfer, dessen Bilder in der Masse des westlichen Kulturangebots untergehen und maximal dem ein oder anderen Ausstellungsbesucher ein kurzen Seufzer entgleiten lassen?

Stellt man diese Fragen, muss man auch so ehrlich sein sich zu fragen, was nun besser ist, Aufmerksamkeit durch eine Miss-Wahl oder eben keine Aufmerksamkeit.

Das Motto „celebrate true beauty“, was im Kontext einer Dove-Kampagne nicht mehr als eine Ansammlung von leeren Worthülsen ergibt, bekommt hier eine wahrlich plastische Bedeutung. Zu deutlich und verstörend ist die Abweichung vom genormten Schönheitsideal. Der feministische Zeigefinger kann in diesem Falle getrost unten bleiben, es ist nämlich zu bezweifeln, dass ein noch so flammender Artikel in der Emma über weibliche Landminenopfer hier mehr bewirkt hätte.

Etwas schwieriger gestaltet sich da die Verbindung Politik und Schönheit. Nun gehört das Gespann etwas ergrauter Mitte-Fünfziger mit schöner Anfang-Zwanzigerin in mittlerweile allen politischen Lagern zum guten Ton, die Instrumentalisierung von Misswahlen zu Wahlzwecken ist trotzdem ein heikles Thema. So versorgte Väterchen Kohl 1998 die Klatsch-Presse mit allerlei Stoff, als er mit der aus Ost- Berlin stammenden Miss Germany 1991/92 auf Wählerfang im Osten ging. In der DDR waren Schönheitswettbewerbe „Zeichen der Erniedrigung und Ausbeutung der Frau durch den Kapitalismus“. Kurzum: eine Ausgeburt der Hölle. Während bei uns also Schönheit und Politik wieder getrennte – sehr getrennte – Wege gehen, entdeckt Russland diese Strategie neu für sich. Was in Deutschland wohl zu bürgerkriegsähnlichen Szenarien führen würde, fällt in Russland einfach unter die Kategorie cleveres Marketing. Bekanntermaßen sieht sich die Atomenergiebranche mit gewissen Vorurteilen konfrontiert. So wird ihr gerne jedes schwerere Übel, vom kalten Krieg bis hin zur Umweltvergiftung in die Schuhe geschoben. Und wenn Schalke verliert, dann ist natürlich Gazprom Schuld. Das möchte man natürlich nur ungern auf sich sitzen lassen und wie ließe sich die Sympathie der Branche besser steigern, als durch schöne Frauen. Wer in den letzten Jahren an der Cote ´d Azur oder in St. Moritz war, weiß, dass es davon in Russland sogar eine ganze Menge von gibt. Dass diese auch in der Atomenergiebranche tätig sind, veranlasste das Web-Portal nuclear.ru dazu die Miss Atom-Wahl ins Leben zu rufen.

Da sag noch einmal jemand, der russischen Seele würde es an Humor mangeln. Sind die strahlenden Gewinnerinnen vor der Reaktorkulisse erstmal abgelichtet worden, wirken Ironie und Patriotismus doch gar nicht mehr so weit voneinander entfernt.

Wer hätte 1979, als Rudi Carrell die erste Miss Germany Wahl im Fernsehen moderierte, gedacht, dass der Begriff „Misswahl“ so viel kreativen Spielraum lässt.

Jedem Topf seinen passenden Deckel, jedem Freak seine Miss-Wahl.

Antonia Märzhäuser

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