Kapitel: Der Mond, der sich auf dem
See spiegelt – Eine wahre Geschichte

von Roman Libbertz

Etwas desillusioniert war ich, der sich gefühlsmäßig lange für scheintot und begraben hielt, in diese Beziehung hineingeschlittert und mein Innenleben, unter dem Stern meines bevorstehenden Staatsexamens, sowie der Bedrohung ihres Ex-Freundes, in seinen Grundmauern erschüttert worden. Nach so langer Zeit war ich zum ersten Mal verliebt, bekam meine Anerkennungssucht befriedigt und sah irgendwie Alles und Jeden in rosa. Also weniger Rauchen, Essen, Alkohol, Masturbieren, Gehirnwichserei, Telefonieren, Schaffensdrang, sämtlich all die negativen Angewohnheiten, die mich in der Regel treiben, wenn ich mit dem Alleinsein konfrontiert werde. Ich wollte die Welt für einen anderen Menschen niederreißen und zusammen, wie in einem Cary Grant-Film auf einem Hausboot dem Leben entgegen treiben. Schnitt.

Sieben Monate später befand ich mich in Udaipur, der weißen Stadt mit ihrer traumwandlerischen Atmosphäre und den unzähligen Dachterrassen am See. Zwanzig Tage waren wir 5000 Kilometer mit dem Auto quer durch die nordindische Wüste gereist. Jede Stunde hatten wir zusammen verbracht – gesehen, geschlafen, gegessen, gelacht und manchmal gestritten. Jedoch machte sich nach etwa einer Woche unseres Aufenthaltes ein Gefühl breit, das ich bis dato noch nicht kannte. (Gehirnforscher attestieren, dass nach etwa sechs Monaten das „Verliebtheitsendorphin“ nachlässt.) Wir beide, auch bedingt durch die tägliche Reizüberflutung, überdachten insgeheim, jeder für sich, ob der Partner wirklich der Mensch sein könne, den man zu „Lieben“ fähig wäre. Nicht mächtig genug, sich dies einzugestehen, verschweißte es einerseits, ließ andererseits aber auch unsere Streitigkeiten wie Vulkanausbrüche aus dem Boden schießen. Es gab zwei Momente, die ich während der Reise nicht fähig war einzuordnen und die mich, immer mehr, in mich zurückziehen ließen. Details.

Einmal trug es sich an einem Abend in Puskar zu, dass ich froh war, sie bereits eingeschlafen neben mir zu sehen und bewegungslos in Ruhe für mich sein zu können. Der andere Abend spielte sich in Agra ab, als ich vom Essenholen zurückkam, sie mir überschwänglich in die Arme fiel und ich diese Zuneigung nicht erwidern konnte. Erklärung.

Keine Mauern waren wie früher nach oben gefahren, sondern meine Begeisterung hatte abgenommen. Sicher war sie immer noch der Mittelpunkt meines damaligen Lebens, aber irgendetwas hatte sich verändert. Genauso wenig wie ich, dank des einstudierten Verhaltens Touristen gegenüber, engeren Kontakt zu den indischen Mitmenschen aufbauen konnte, verhielt es sich mit einem Mal hinsichtlich des Menschen an meiner Seite: Ich konnte ihre Denkweisen, Machtspiele und Launen nicht verstehen, soviel ich auch darüber meditierte oder so sehr ich mich auch mühte. Trauer machte sich in meinem offenen Herz breit und ein seltsamer Isolationsgedanke pochte in meinem Kopf. Ich hatte mich selbst in wundervolle Ketten gelegt, die mir nun die Luft abzuschnüren drohten und deren Glieder ich nicht mehr nachzuvollziehen vermochte. Ich träumte von grünen Landschaften im Allgäu, vom Alleinsein oder von meinen Freunden, die ich durch Beziehung und Indien kaum gesehen hatte. Da war ich also in einem fremden Land in einen Zustand völliger Unsicherheit geraten, in dem alles möglich, doch auch alles unmöglich erschien. Äußere Betrachtung.

Der Sinnsuchende hatte den Sinn verloren. Er trieb auf einer Scholle, welche ihn Handlungsströmungen aussetzte, die für ihn zwar augenblicklich zweckmäßig erschienen, jedoch im Nachhinein von Grund auf unreflektiert waren. Blickte er in den Spiegel, war es fast so, als sehe er sein eigenes, jedoch verfremdetes Gesicht und seine Hand, die ihm den ausgestreckten Mittelfinger zeigte. Allumfassende Ohnmacht. Raus.

Um uns spazierten Kühe auf unbetonierten Straßen. Abwasserrinnen liefen offen neben den Wegen. Tausende Rikschafahrer. Ein nackter Säugling krabbelte scheinbar heimatlos durch die Gegend und wie das Leben so spielt, brauchte es genau hier dann einen kleinen unwichtigen Streit, welcher sich genau genommen nicht verbal, sondern nur mit Blicken austrug, der das geheuchelte Konstrukt zusammenbrechen ließ. Explizit.

Meine ehemalige Traumfrau schwang sich in eine Rikscha und brauste von Dannen. Ich war endgültig vom Weg abgekommen, doch unvorstellbarerweise von dieser Sekunde auf die andere wieder mit mir im Reinen. Das Gefühl war so intensiv, dass ich mich, gleichsam wie ein frisch verliebter Junge über sein gebrochenes Herz weint, gegenüber eines von Frauen beklopften Steinfeldes vergoss. Derart geläutert, kenterten wir kurze Zeit später in unserem Hotelzimmer, in dem ich beschloss, auf eine letzte gemeinsame Woche im seligen Kerala, gefüllt von Ayurveda am Meer zu verzichten, am nächsten Morgen nach Delhi zurückzufahren und den Heimflug anzutreten. Ende.

In der Nacht nach meiner Entscheidung rauchte ich das erste Mal seit drei Wochen wieder und zwar gleich eine ganze Schachtel. Um fünf Uhr früh fand ich mich auf dem Balkon sitzend, sah den Mond sich im Wasser des Sees spiegeln, die Luft geschwängert von fremdländischen Gewürzen, das Ohr der orientalischen Musik lauschend, die vom anderen Ufer entgegenschwappte und fühlte mich zugleich frei und leer wie nie zuvor. Das Hausboot haben wir, weder in Kerala, noch in unserem Leben je betreten. Das immer gleiche traurige Lied vom Kampf um Liebe und Anerkennung. Abspann.

You must remember this
A kiss is still a kiss
A sigh is just a sigh
The fundamental things apply
As time goes by

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