“Ist das wirklich meine Stadt?” oder
“Kulturpolitik von und fÜr BÜrokraten”

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Hamburg – einstmals und zukünftig von Cosma Shiva Hagen

Seit über zehn Jahren lebe ich in meiner sogenannten Wahlheimat Hamburg. Vielleicht sollte ich noch hinzufügen: “Und das ist auch gut so!”. Denn seit geraumer Zeit werde ich mit ungläubigen, verdutzten Gesichtern bestraft, wenn ich zu der Frage nach meinem Wohnsitz mit “Hamburg” antworte. Ich denke nicht, dass es daran liegt, dass die meisten Menschen Nina Hagen mit Berlin assoziieren, sondern daran, dass es den meisten Menschen schier unmöglich erscheint, als Schauspielerin und als Kunsthaus-Betreiberin in Hamburg zu überleben. Muss man als Künstler in Berlin angesiedelt sein?

Die Presse überschlägt sich dieser Tage mit Meldungen über Künstler von Lindenberg bis Westernhagen, die dieser Stadt den Rücken kehren, weil der Reiz verloren gegangen ist und sie sich von der kreativen Szene Berlins angezogen fühlen. Dann liest man bahnbrechend intelligente Sätze wie “Hamburg darf im Wettbewerb um die besten Künstler und Events nicht den Anschluss verpassen”…! …? Nur, wer soll da helfen? Die Behörden? Bürokratisches Kulturschaffen geht meist in die falsche Richtung und oft am Publikum vorbei. Bedauerlicherweise hat noch niemand begriffen, dass es die Künstler, Musiker und Clubbesitzer sind, die die kulturelle Vielfalt einer Stadt gestalten und auch leben. Rücksichtsloser Umgang mit dem Nachtleben hat schon in anderen Städten dazu geführt, dass die Clubszene stirbt und es an geeigneten Venues mangelt.

Wenn man die Themen “Subkultur Hamburg” oder “Clubsterben Hamburg” bei Google eingibt, wird man von einer Welle der Entrüstung und Panik überflutet. Dieses alarmierende Thema scheint grenzenlos und ein leises Flüstern wird langsam aber sicher zu einem hysterischen Anfall. Diskussionsforen sprudeln über, wenn es um die Clubs am Verkehrsknotenpunkt oder inzwischen Kulturknotenpunkt Sternbrücke geht, die bis zum Ende des Jahres 2009 das Feld für geplante Renovierungen der Deutschen Bahn räumen müssen. Dass die Frist für dieses Vorhaben nun bis 2014 verlängert wurde, tut der allgemeinen Panik verständlicherweise keinen Abbruch, denn beispielsweise der Waagenbau hat eines der abwechslungsreichsten Programme für alle Nachtschwärmer von Live Events bis zu Hip Hop, Elektronik und mehr.

Das Ende des Waagenbaus und den umliegenden Clubs würde fast schon Münchener Verhältnissen gleichen… Das hört sich vielleicht übertrieben an, ist es aber keineswegs, wenn man bedenkt, dass die Staatsförderung der Elbphilharmonie von 70 Millionen auf 323 Millionen gestiegen ist und eine Plattform für eine Minderheit bietet. Ich will damit nicht sagen, dass die Elbphilharmonie überflüssig wäre! – Aber das Geld und vor allem die Energie, die investiert wird, beispielsweise in Akustiker, Architekten, Anwälte, Pläne und Gedanken, ist im Vergleich zu laufenden, um Hilfe ringenden Institutionen Hamburgs geradezu lächerlich. In Zeiten der Weltwirtschaftskrise wird gespart und an anderen Ecken wird geprasst. Die kleinen Clubs sterben, Arbeitsplätze gehen flöten, Existenzen werden ruiniert und es gibt keine vernünftige Förderung für Musik-, Club- und Kunstliebhaber im Alter von 20 bis 50 Jahren – also rund 70 Prozent der Gesellschaft.

In der Vergangenheit gab es keinen guten Club ohne Gerüchte über eine Schliessung, sei es beispielsweise wegen finanzieller Probleme wie im relativ kleinen Molotow, wo Bands wie Mando Diao, Billy Talent, The White Stripes und andere ihre ersten Hamburg-Konzerte vor kleinem Publikum hatten. Anderswo ist die Lautstärke problematisch oder es gibt Querelen mit den Behörden. Fakt ist: Jede Schliessung beschneidet und unterdrückt die kulturelle Vielfalt der Stadt. Es ist mir ein Rätsel, warum es von der Stadt keine Förderung für die lebenswillige eigenständige (Sub-)Kultur Hamburgs gibt und man sich gleichzeitig darüber wundert, dass viele Künstler, die hier leben, das Weite suchen, obwohl Hamburg als so weltoffen gilt. Möglicherweise bin ich bei diesem Thema ein wenig emotional aber ich glaube zu wissen, wovon ich spreche.

In einem Anflug von Idealismus und Naivität habe ich im Mai 2009 die “Sichtbar” eröffnet. Ich wollte im Rahmen einer Nachtclub-Galerie eine Plattform für Künstler aller Art schaffen und stellte mir das Ganze als eine endlose kreative Party vor. Schnell begriff ich, dass 80 Prozent der Arbeit das bürokratische Umkämpfen der eigenen Rechte darstellt. Andere Clubbesitzer sagten mir nur mit einem wissenden, müden Lächeln “Willkommen in der Gastronomie”.

Es ist fast unmöglich, mit Musikclubs Geld zu verdienen. Abzüglich der Personal- und Technikkosten, Abgaben an die Künstlersozialkasse oder die GEMA-Gebühren, Quellensteuer usw. bleibt letztendlich meist nichts übrig. Ich las in einem Interview mit Karsten Schölermann, der seit mehr als 30 Jahren das “Knust” betreibt und 2001 umziehen musste, um drei Jahre später im Schlachthof ein neues Domizil zu finden: “Musikclubs gibt es nur, weil es Selbstausbeutung gibt, wir werden einem Tarif zugeordnet, der für Tanzmusik in Hotelfoyers geschaffen wurde, machen aber keine Unterhaltung sondern Präsentation, bilden Nachwuchs aus, auch den der GEMA, und werden dafür bestraft.”

Es gibt kaum eine Verhältnismäßigkeit bei der Wahrung der Rechte der Anwohner vs. der Rechte der Kulturschaffenden und Genießenden, grosses Beispiel dafür ist die Geschichte von Leila Pantel, Bossanova-Sängerin aus Hamburg, die um 23 Uhr bei einem Live Konzert am Hamburger Berg wegen einer einzelnen Beschwerde von der Polizei gestoppt wurde… Und wir sprechen hier von leisen Bossanova-Tönen, nicht von einem Subwoover, 150 bpm und elektroakustische Verstärkung! Ich wage zu bezweifeln, dass die Geräuschkulisse am Hamburger Berg durch die Beendung des Konzerts in irgendeiner Weise geschmälert wurde. Im persönlichen Miet- und Wohnrecht sind 2 Stunden täglich für eine “laute” Beschäftigung – beispielsweise das Üben eines Instruments – erlaubt. Gastronomisch und gewerblich sieht es da leider anders aus. Eine einzige Beschwerdeperson kann den ganzen Saal stoppen.

Um ein anderes sehr gutes Beispiel für Behördlichenwahn ohne Sinn zu erklären, erzählt man sich in Hamburg gerne das Schanzenviertel-Märchen: “Es war einmal, vor sehr langer Zeit ein unentdecktes Land, wo alles schöne bald verschwand…”

Im März 2009 explodierten die Mietpreise im Schanzenviertel und alt eingesessene Bewohner und Ladenbetreiber mussten sich in Staub auflösen. Läden, die seit jeher dort angesiedelt waren, mussten sich von neuen Läden verdrängen lassen. Peter Haß, 63-jähriger Robin Hood der Schanze, der seit mehr als 30 Jahren dort lebt und als Mitglied des Bürgerzentrums “Centro Soziale” für den Erhalt des Viertels kämpft, sagte: “Wenn das so weiter geht, haben wir bald nur noch Schicki-Micki-Läden und -Ketten hier, die im Zentrum der Stadt schon mehrfach zu finden sind.”

Wenn man die Besonderheit eines Stadtteils ausdrücken will, würde man vielleicht auch den Ausdruck “das gewisse Etwas” benutzen. Entweder man hat es, oder man hat es nicht! Die Ausstrahlung kommt von innen! Geographisch gesehen kann man also sagen, dass das Innere des Schanzenviertels die Menschen sind, die dort leben, arbeiten und etwas kostbares erschaffen – man könnte auch sagen, sie erschaffen gemeinsam die Seele des Viertels.

Hamburg hat diese Seele an den Teufel verkauft. Seither erhofften sich nicht nennenswerte Firmen, dass sich durch ihre bloße Anwesenheit im “Schanzenhimmel” wenigstens ein bisschen dieser sogenannten Seele abfärbt. Aber das Gegenteil war der Fall! MANN KÖNNTE ES AUCH ALS IRONIE DES SCHICKSALS BEZEICHNEN, dass man sich tatsächlich darüber wundert, dass die vor Diebstahl schützende Glasscheibe vorm Laden keine 24 Stunden hält und der Nachbar nichts abbekommen hat. Erleichtert stellt man fest, dass “zum Glück nichts geklaut wurde” und ein Wink mit den Zaunpfeil wird zu einer Geschichte voller Missverständnissen… Denn niemand, der durchs Schanzenviertel läuft, braucht diese kommerziellen Läden. Die einzigen, die darunter leiden, sind die Ureinwohner die nun Gast im eigenen Land sind, oder Punks, die für alles schlechte verantwortlich gemacht werden, weil man der Meinung ist, dass “sonst niemand Interesse daran haben könnte, etwas zu beschädigen”.

Warum also lässt Hamburg das zu? Unwissenheit? Ignoranz? Habgier? Vielleicht eine Mischung aus all diesen Dingen. Der rettende Prinz heißt “Macciato-Stop” und soll im kommenden Jahr mit einer Schutzverordnung mehrere Szeneviertel vor dem Untergang bewahren. Mitte 2011 soll eine Verordnung in Kraft treten, die die angestammte Bevölkerungsstruktur auf St. Pauli, im Karoviertel, in St. Georg und dem Schanzenviertel vor Luxussanierung oder spekulativer Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen bewahrt.

Aber ich frage mich, seit wann Aschenputtel zum Dornröschen wurde und eine Stadt sich vor sich selbst schützen muss, weil sie verschlafen hat, welch individuelle Schönheit sie in Wahrheit besitzt.

Tourismus entsteht nicht im Reiseführer! Sondern beispielsweise in den größten Musikclubs oder auf der Strasse – durch Mund-zu-Mund-Propaganda, Stille Post. Menschen lernen sich kennen und fragen: “Was ist das Geheimnis deiner Stadt? Wo muss man hin, wenn man die ‘heiligen Hallen’ nicht verpassen möchte?” Geheimnisse sind vergänglich! Und trotz der vielbesagten nordischen Distanz und Kühlheit ist auch dieses Geheimnis öffentlich geworden und Behörden, Geld und Firmen haben versucht, ihren Teil zu sichern.

Ich würde mir von eingefleischten Hamburgern eine Art Revolution wünschen, um die Seele der Stadt zu erhalten, beispielsweise in Form von Beschwerde-Briefen an die Senatsbehörden: Einen Kampf anzetteln für die Förderung der vielfältigen kreativen gewachsenen Subkulturen und deren Rechte . Frei nach dem Motto: ” …they tried to make me go to rehab, but I said no no no…!”

Eine lebende Hamburger Legende namens Otto Waalkes gab mir vor einigen Jahren den Ritterschlag und machte mich zum deutschen Schneewittchen. Die Frage zur Schönsten im ganzen Land ist mir seitdem also nicht unbekannt. Meiner Meinung nach ist Hamburg die schönste Stadt Deutschlands und schon deswegen zu beneiden. Auch wenn es die reichste Stadt nach dem letzten Krieg war, kann man sich Style bekanntlich nicht kaufen. Die Internationalität durch den Hafen, die Menschen, die Mentalität und die Schönheit dieser Stadt machen Hamburg einzigartig.

Wenn sich weiterhin alles darum dreht, Stadtteile zu ändern weil keiner begreift, dass der Stadtteil von den Menschen und nicht von den Behörden gemacht wird, nimmt das eine sehr traurige Wendung.

Es ist mir unbegreiflich, das Institutionen, die von der Kultur einer Stadt leben wollen und es im Endeffekt auch tun, ihren Kultur (er)schaffenden Instanzen Steine in den Weg legen, statt sie zu unterstützen und die grundlegendste Wahrheit ihrer eigenen Arbeit nicht begreifen: Musikclubs sind keine kommerziellen Betriebe, es sind Kulturbetriebe! Und freie Kultur entsteht nur da, wo es keine Frage des Portemonnaies ist.

Die Moral der Geschichte lässt sich schnell zusammenfassen: Hamburg lässt sich nicht so einfach über den Tisch ziehen. Denn der wichtigste Faktor wurde beinahe vergessen: Das Herz, das mit jedem Schlag den Ton angibt!

Jan Delay sagte einmal: “Das ist meine Stadt, schön und abgefucked”. Ich würde noch hinzufügen: “So soll es sein, so kann es bleiben.”

Cosma Shiva Hagen

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