Friedrich Ani

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An einem lauen Mittwochssommerabend traf ich den Schriftsteller Friedrich Ani, in dem von ihm gewählten Münchner Stadtcafé. Seit seinem grandiosen Buch „Verzeihen“, das ich vor nicht allzu langer Zeit zum zweiten Mal las, hatte ich den Entschluss gefasst, um ein Treffen zu bitten. Mit „Totsein verjährt nicht“, der realitätsnahen Geschichte über das Verschwinden einer Achtjährigen und der darauf folgenden scheinbar an den Haaren herbeigezogenen Inhaftierung eines geistig zurückgebliebenen Mannes wegen Mordes, war es also soweit. Dennoch muss ich gestehen, dass der Zeitpunkt nicht wirklich glücklich war, da das besagte Buch erst gegen Mittag in meinem Postkasten lag und ich in der verbleibenden Zeit nicht weiter als bis Seite 168 gelangt war. Wie soll man über ein Buch sprechen, dessen Ende zu lesen einem über die gesamte Dauer des Gespräches unter den Nägeln brennen wird? Ich hatte Glück, denn Friedrich Ani besaß vollstes Verständnis dafür, dass ich Polonius Fischer, der vom Mönch zum Kommissar wurde und dem Ani nun zum dritten Mal Leben eingehaucht hat, in meinen Gedanken nachhing. Kein Wunder, bezeichnet der Autor auch sich selbst in seinen Schreibphasen als von seinen Figuren besessen. Nachdem ich zu Beginn also reinen Tisch gemacht hatte, wandte ich mich meinen vorbereiteten Fragen zu, wobei jedoch schnell klar wurde, dass wir sie nicht brauchen würden. Ich hatte zum zweiten Mal Glück, denn Friedrich Ani sagt von sich selbst, dass er gerne schweigt, doch muss ich mir wohl soviel Mühe gegeben haben, dass sich ein bis in die Nacht andauerndes Gespräch entwickelte, in dem ich mich die ganze Zeit über dicht auf den Fersen des wohl besten deutschen Kriminalromanautors befand, aber vorab:

Was wusste ich vor unserem Treffen?

  • dass Herr Ani den Kriminalroman als bestes Gewand für seine Geschichten ansieht.
  • dass Herr Ani seine Figuren nicht findet, sondern sie ihn, manchmal sogar gleichzeitig 12 auf einmal.
  • dass Herr Ani laut Pressestimmen ebenfalls das Fach der Lyrik und Jugendromane beherrscht.
  • dass Herr Ani in Kochel am See geboren ist, heute das Großstadtleben bevorzugt und in München lebt.
  • dass Herr Ani in 11 Jahren mehr als zwanzig Bücher herausgebracht hat.
  • dass Herr Ani mit seinem bekanntesten Protagonisten Tabor Süden, Hauptkommissar im Vermissten-Dezernat der Münchner Kripo, durch dreizehn überaus erfolgreiche Bücher, sowie zwei Verfilmungen (gespielt von Ulrich Noethen) gewandert ist und ihn entgegen seiner damaligen Ankündigung nach vier Jahren Abstinenz mit einem neuen Fall zurückkehren lassen will.
  • dass Herr Ani die Bücher von Juan Carlos Onetti überaus schätzt. – dass Herr Ani auch Drehbücher geschrieben hat.
  • dass Herr Ani neben zahlreichen anderen auch den deutschen Krimipreis und den staatlichen Förderungspreis für Literatur des Bayerischen Kultusministeriums erhalten hat.
  • dass Herr Ani schweren Rotwein liebt.

In unserem Gespräch erfuhr ich: Friedrich Ani ist der seine Eltern an körperlicher Größe überragende Sohn einer Schlesierin und eines Arabers, die ihn lieber als Arzt sehen würden, als „bei dieser Sache, die er macht und die nicht einmal komisch ist“.
Jedes Jahr bereitet es ihm um die Weihnachtszeit großes Vergnügen die Trilogie des Paten in den DVD-Spieler zu legen und er ist großer Anhänger der amerikanischen Sitcom „Two and a Half Men“. Seine journalistische Tätigkeit hat er aufgrund seiner Leidenschaft, eigene Wirklichkeiten zu kreieren ad acta gelegt und auch seine Internet-Aktivitäten beschränken sich auf ein Mindestmaß. Trotzdem versucht er immer wieder, die überzogene Auflistung seiner Lyrikbände auf Wikipedia richtig zu stellen, was aber bis jetzt leider nicht von Erfolg gekrönt wurde. Nach wie vor bevorzugt er Printmedien, die sich wöchentlich in Hülle und Fülle in seiner Wohnung ansammeln. Kritiken steht er relativ gelassen gegenüber, zumal er sowieso nichts beeinflussen könne. Über eine gute Rezension freut er sich ungeachtet dessen zehn, über eine schlechte ärgert er sich fünfzehn Minuten. Bis zum letzten Jahr war er Ersatztorwart der Literaturnationalmannschaft, aus der er, nach einer gewaltigen Zerrung, seinen Rücktritt erklärte. Er ist bescheiden, mag Musik von Bob Dylan und vergleicht das Tippen seiner Zeilen gerne mit dem Zupfen an den Saiten einer Akustikgitarre. Auftragsbücher sind für ihn tabu, da er ohnehin schon zu viele Ideen im Kopf habe. Vor Lesungen ist er, obwohl er dachte das würde sich über die Jahre legen, nach wie vor von Lampenfieber geplagt. Sein liebstes Fortbewegungsmittel ist das Schiff, nicht nur wegen seiner Flugangst. All seine Figuren entstammen alleinig der Phantasie von Friedrich Ani und Freunde wie Bekannte müssen nie befürchten, jemals in einem seiner Romane zu erscheinen. Er schreibt bei geschlossener Tür, ist aber der erste Entwurf fertig gestellt, öffnen sich Fenster und Türen wieder und es geht an die Korrekturen. „Es gibt keine nötige Stimmungslage für eins meiner Bücher, man muss sich nur selbst aushalten können“, sagt Herr Ani und lacht ansteckend. Seine eigenen Ergüsse zu lesen ist für ihn dennoch verwirrend. Für den Schweden Per Olov Enquist hegt er große Bewunderung. Trotz seines Faibles für Rotwein trinkt er dieses Jahr ausschließlich Weißwein, warum weiß er selbst nicht so genau und „Totsein verjährt nicht“ ist sein dreiundzwanzigster Kriminalroman, dessen Thema durch die Einlösung eines länger zurückliegenden Versprechens begünstigt wurde.

Einige der besten Zeilen:
Die Stimme des Jungen klang heiser. Aber es war eine Stimme, die Stimme eines anwesenden Menschen. // Eher sah Marcel aus wie ein Geist, der aus der Geisterbahn vertrieben worden war und nicht begriff, wieso. // Die Frau hat ein Hassgeschwür im Herzen. // Er hob die Hand, wandte sich um und schlurfte bei Rot über die Kreuzung, nach vorn gebeugt, die Hände in den Taschen, ein lederner Schatten im nebligen Dunkel. // Marcel wollte nur in ihrer Nähe sein, weil die Nähe der anderen ihm fremd blieb und er sich vorkam wie einer, der von ihnen nicht gemeint war, von ihren Worten, Gesten, Blicken. // Obwohl er seit vierzehn Jahren bei der Mordkommission arbeitete, kam er sich manchmal wie ein Gyrovage vor, wie einer jener umherziehenden Mönche auf der Suche nach dem einen Ort seiner Bestimmung. // Nach vorn gebeugt saß sie da, die Hände flach auf dem Tisch, beschwert von Ahnungen. // So vertrockneten und zerbröselten ihre Wünsche und Gedanken, und wenn sie es bemerkten, waren sie alt geworden. // An den Tischen in dem dunklen, durch Balustraden und Nischen unterteilten Lokal saßen vereinzelt oder zu zweit Gäste, die aussahen, als wären sie nach Verkündigung des allgemeinen Rauchverbots in Gaststätten im Schock erstarrt und versuchten nun herauszufinden, welchen Sinn der Alkohol und die Existenz an sich noch hatten. // Am liebsten wäre sie ausgestiegen und hätte Fischer all das ins Gesicht geschrieen, was sie ihm den ganzen Tag über nicht hatte sagen können. Dass sie nämlich aus Angst um ihn langsam durchdrehte, dass er ihr ununterbrochen Angst einjagte, dass die Luft um ihn herum nur noch aus Angst bestand und dass jeder, der in seine Nähe kam, von dieser Angst um den Verstand gebracht wurde. „Scheiß dir nicht in die Hose“ schrie sie, als der Lkw-Fahrer hinter ihr wieder zu hupen anfing. // Deswegen hab ich so gezittert, weil die Angst so geflattert hat in mir, die Fledermausangst. // Immer dieselben Geschichten, dieselbe Egozentrik, dasselbe innere Gefängnis.

Nach unserem Gespräch:
Hastig verschlang ich in tiefer Nacht die restlichen 117 Seiten des Buchs, woraufhin sich bei mir ein Gefühl der Seeligkeit einstellte, aber gleichzeitig ebenso ein Hunger nach Polonius Fischer, nach Tabor Süden, sämtlich nach mehr Stoff von Herrn Ani, auch wenn ich zu dem Genre, abgesehen von der „New York Trilogie“, „Verzeihen“, Simon Brenner und dem Film „Zodiac“ früher nie ernsthaft Zugang fand.

Gestern erreichte mich dann noch folgende E-Mail:
Lieber Roman, bevor ich mich an die Nordsee aufmache, wo ich jedes Jahr das weite Schauen übe, winke ich dir nach unserem gestrigen Treffen noch einmal aus Giesing. Die Zigaretten, die ich von dir schnorren durfte, haben mir gut getan, ich inhaliere noch etwas nach. Jetzt pack ich mehrere Simenons ein und hau ab, bevor mir der Münchner Himmel auf den Kopf fällt.

Herzlich: Fritz

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