Eigentlich bin ich eine Jägerin.

Nachdem sich zuletzt bereits unser Chefredakteur mit dem Thema ‘Mythos Monogamie’ eingehender beschäftigt hat, hat sich unsere Autorin Mirka Uhrmacher diesem Thema auf sehr persönliche Art und Weise angenommen. Nachdem sie sich zuletzt ausführlicher mit dem Soft-SM-Trend auseinandergesetzt hatte, geht es diesmal um die eigene Befindlichkeit im ewig währenden Spannungsfeld von Lust, Laster und Liebe.

Ich liebe das Gefühl von fremder Haut auf meiner eigenen. Ich liebe die Ungewissheit, das Neue. Ich liebe die Rücksichtslosigkeit kurzer Affären, ich liebe es, respektlos zu sein. Ich liebe es, dominiert zu werden und zu unterwerfen. Ich liebe es zu manipulieren. Ich liebe es, andere in mich verliebt zu machen. Ich liebe es, meine Krallen in die Beute zu schlagen und sie verwundet zurückzulassen. Ich liebe es, gewollt zu werden. Ich liebe es, betrunken zu sein von meinem eigenen Wollen. Ich liebe meinen zerschundenen Körper nach einer völlig übertriebenen Nacht. Ich liebe es, zu schockieren. Ich liebe den Wahnsinn. Ich liebe den Schmerz. Ich liebe den Exzess.

Und ich liebe dich.

Manchmal fällt es mir schwer, beides zu vereinbaren. Ich glaube den Menschen, die von sich sagen, ihnen würde ein Partner reichen. Ich glaube nur denen nicht, die behaupten, sie würden auch niemand anderes wollen. Zwischen brauchen und wollen klafft eine endlos weite Schlucht. Ich brauche niemanden außer dir, aber bei Gott, ich will. Ich will Überfluss, ich will, was ich nicht brauche, ich will Luxus.

In deinen Augen sehe ich, dass es die Art ist, wie du mich anblickst, die mich ausmacht. Ich bin ein Geschenk. Ich bin mehr, als du begreifen kannst. Ich bin alles für dich. Und in deinen Armen bin ich unbesiegbar.

Aber ich vermisse meine selbstzerstörerischen Raubzüge. Ich vermisse es, ungehindert meiner Neugier nachzugehen. Ich vermisse es, einem Fremden das Geheimnis, das er ist, zu entreißen, nur weil mir grade danach ist. Ich vermisse es, mich selbst preiszugeben. Ich vermisse es, besiegt zu werden. Ich vermisse die Macht. Ich vermisse die Überlegenheit. Es fehlt mir nicht, aber ich vermisse es.

Wieso bleibe ich dir trotzdem treu? Weil Psychologen richtig in der Annahme gehen, dass wir uns durch Erziehung und falsch verstandene Moralvorstellungen zu Handlungen verleiten lassen, die unserer tatsächlichen Natur eigentlich widersprechen? Weil ich mich moralisch und ethisch dazu verpflichtet fühle? Oder etwa, weil es nicht schwierig ist, jemandem treu zu sein, in den man wirklich verliebt ist, weil es gefälligst nicht schwierig zu sein hat, weil nur das der Beweis für die Tiefe der eigenen Gefühle darstellt? Keiner dieser Gründe trifft für mich zu.

Ich weiß, dass es dir bisweilen schwer fällt, dir keine Gedanken über dieses Thema zu machen. Du vertraust mir, aber eigentlich weißt du nicht, wieso. Es ist ein Gefühl, eine Sicherheit, eine unbegründete Gewissheit, aber du kennst mich gut, du weißt, dass diese Art zu leben mir eigentlich nicht entspricht. Du fragst dich nicht, ob ich dich betrügen würde, sondern eher, wieso ich es nicht tue. Dir eine Antwort darauf zu geben ist kein leichtes Unterfangen. Sie klingt einfach nicht so romantisch, nicht so moralisch, nicht so wissenschaftlich fundiert, wie andere Antwortmodelle es tun mögen. Ich glaube, dass uns diese Antwortmodelle eigentlich nur über einen Umstand hinwegtäuschen, der wenig schmeichelhaft ist.

Treue ist für mich bloß eine Form des Egoismus.

Empörung auf Seiten derer, die es entweder als oberste Pflicht der Liebenden ansehen, die eigenen banalen und unheiligen Triebe der animalischen Sexualität zu bekämpfen oder aber die Sex nicht von Liebe abstrahieren können und Treue somit nicht als Kampf sehen, sondern als simples Factum. Wenn ich liebe, dann darf mich auch nichts in Versuchung führen, oder aber meine Liebe ist nicht tief genug. Hier wird ein Grund von außen angetragen, eine Meinung, ein Ist-Zustand wird nach einem Soll-Zustand beurteilt, der irgendwo irgendwann einmal konsensfähig geworden ist. Das reicht mir als Erklärung nicht aus, das geht mich nichts an, das ist keine Erfahrung, die ich selbst gemacht habe sondern eine Erfahrung, die mir als erstrebenswert suggeriert wird, ein Ideal, das es zu erreichen gilt, welches ich zu meinem eigenen Ideal zu machen habe, das aber nicht aus mir stammt. Für mich fühlt es sich an wie die Flucht zum Schema F. Soweit ist der Wissenschaft sicherlich Recht zu geben. Doch viel mehr, als ein Schema durch ein anderes zu ersetzen, welches ebenso unpersönlich und anonym ist, tut auch die Erklärung qua Biologie und Evolution nicht, denn nur durch das Wissen um die natürliche Neigung des Menschen, sein Erbgut möglichst breit zu verstreuen, wird das Thema ganz offensichtlich nicht weniger heikel.

Wenn ich also nur für mich selbst die Frage beantworten soll, wieso ich dir treu bleibe, so will ich dafür nicht fremde, tradierte, allgemeingültige, entweder romantische, moralische oder wissenschaftliche Antworten zitieren. Ich frage mich stattdessen bloß nach meinen eigenen Beweggründen und stoße auf einen sehr pragmatischen Grund: ich bin dir treu, weil ich es nicht ertragen könnte, wenn du mir nicht treu wärst.

Spielen wir die angeblich nötige ‚Neudefinition‘ von Treue einmal durch und nehmen die emotionale Komponente als Maßstab für Treue, während Sex davon nicht tangiert wird, so ändert sich mein Unbehagen bei der Vorstellung, du könntest eine andere Frau berühren, nicht im Geringsten. Die Vorstellung, du würdest sie so ansehen, wie du mich ansiehst, ist wie zu erwarten eine viel schlimmere, doch bereits der Gedanke daran, du könntest an der Lust einer anderen Gefallen finden, ist für mich nicht tragbar. Und das, obwohl ich selbst um die Belanglosigkeit von Sex an sich weiß, obwohl ich genau diese Belanglosigkeit stets so genossen habe. Ich weiß, dass so etwas geht und ich habe keinerlei schlechtes Gewissen, dazu zu stehen, dass ich solche Arrangements sehr reizvoll finde. Ganz allein nur für mich, ein Ich, das ein beliebiges Du benötigt, um sich darin zu spiegeln. Ich würde eine solche, rein sexuelle Freiheit, wie sie als Möglichkeit der Überwindung des Schreckgespenstes Monogamie gefeiert wird, für mich selbst bedenkenlos in Anspruch nehmen. Aber ich wäre nicht bereit, sie dir im Gegenzug zu gewähren.

Ich habe es einmal versucht, bevor ich dich kannte. Es war das perfekte, moderne, freie Konzept der Nicht-Beziehung, in der alles so einfach und leicht und unkompliziert war. In der man sich mochte und respektierte, sich aber nicht durch Reglementierungen oder aber gar konventionelle Vorstellungen von Liebe einschränken lassen wollte. In der man sich revolutionär und allen anderen überlegen gefühlt hat. In der man den Zeitgeist zu treffen meinte. Wir beschlossen nach einer Weile, dass wir auch über andere Liebschaften sprechen könnten. Dass diese existierten, wussten wir eh und auch, dass dieses ‚Wir‘ davon überhaupt nicht betroffen war. Ich begann zu erzählen und es fühlte sich gut an. Ein paar Treffen später erzählte er – und es war äußerst unangenehm. Ich wurde die Bilder in meinem Kopf nicht los. Es sei ein Flopp gewesen und wir haben darüber gelacht, wie unbeholfen und ergebnislos die ganze Sache für ihn gewesen war. Trotzdem fühlte ich mich verletzt. Irgendwie habe ich mich dazu durchgerungen, ihm das zu sagen, obwohl es natürlich gegen unsere Abmachung verstieß. Er überraschte mich damit, dass es ihm genauso bei meiner Geschichte gegangen wäre. Wir waren erstaunt, ziemlich ratlos und beschlossen, diese Dinge besser nicht weiter zu thematisieren.

Meine Mutter sagt, Treue sei der Mangel an Gelegenheiten. Ich muss ihr widersprechen. Ich habe jede Menge handfester Gelegenheiten. Aber ich nutze sie nicht. Ich glaube an das Prinzip der Monogamie als für mich notwendige Einrichtung aufgrund meiner egoistischen Tendenzen. Ich teile nicht. Weil ich die Bilder vor meinem inneren Auge nicht ertragen könnte. Den angeblich überkommenen Gedanken einer exklusiven Paarbeziehung zu verwerfen und unsere Definition von Treue zu überdenken würde mir da nichts nutzen. Der Versuch hat gezeigt, dass ich trotzdem nicht damit klar käme, mir vorzustellen, wie du mit deinen unverschämt begabten Händen eine andere Frau berührst. Und das, obwohl ich mir anmaße, in der Lage zu sein, die Grenze zwischen unbedingt exklusiver Emotion und der relativen Kontingenz körperlicher Erregung unangetastet zu lassen und nicht zu überschreiten. Mit dir ist mein Ich aufgehoben. Mit jemand anderem dagegen ist es die Suche nach möglichst ergiebigen Projektionsflächen für meinen manchmal nur schlecht zu verbergenden Narzissmus. Doch ich könnte dir dasselbe Recht nicht einräumen. Daher ist Treue ein Kompromiss. Ich verzichte darauf, etwas zu tun, was ich gerne täte, weil ich nicht will, dass du es auch tun würdest. Das ist vielleicht nicht schmeichelhaft, sicherlich ist es nicht romantisch. Aber zumindest ist es ehrlich.

Mirka Uhrmacher

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