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zwei jungs und die kunst

Mein bester Freund Roman und ich haben uns mal ein ­Wochenende geleistet. Wir sehen uns so selten im Jahr, er aus München, ich aus Berlin, dass es durchaus angemessen scheint, die Male, die wir uns sehen, zu zelebrieren und zu etwas besonderem zu machen. Deswegen haben wir unser Treffen auf einen Ort verlegt, den wir beide schon immer mal besuchen wollten: Die Documenta in Kassel.

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Ich hab schon viel davon gehört und mich zumindest beim letzten Mal wirklich geärgert, nicht da gewesen zu sein. Diese Versammlung von allem, was in zeitgenössischer Kunst Rang und Namen hat, in einem eher überschaubaren Örtchen wie „Kassel“, das find ich vom Konzept her schon ganz gut. Die ganze Stadt wird bespielt, aber die Stadt ist halt nicht groß. Super. Wie im Simpsons-Film, als diese riesige Käseglocke über Springfield gestülpt wird und nichts raus kann.

In meinen romantischen Vorstellungen haben Inspirationen an jeder Ecke auf mich gewartet: Nirgends ist man sicher vor einer eventuellen Performance, bei der sich eine nackte Frau mit einem bärtigen Mann auf einem Schimmel sitzend mit rohen Eiern bewerfend duellieren, mitten in der Fußgängerzone, zwischen McDonalds und Starbucks. Dazu ausgestellte Künstler, die nicht alles auf den Kopf stellen wollen, die aber zwingende Ideen haben, Ideen denen man anmerkt, dass sie aus ihnen raus mussten. Wie ein Kind, das raus muss, weil man es nicht länger ernähren kann im Bauch. Es ist fertig, es gehört jetzt auf die Welt. Kunst, die ich nicht sofort verstehe, vielleicht auch welche, die ich gar nicht verstehe. Aber die mich fordert. Die mit mir ein kleines Kämpfchen austragen will, eine Rauferei um Assoziationen, ein Schwitzkasten für Interpretationen. Um sich danach lachend die Hand zu geben und zu sagen, dass man gewonnen hat. Denn das soll natürlich auch Spaß machen. Ich liebe diese Hirn-Kämpfe. Und Krämpfe, klar, die auch. Mir kann ja nicht alles gefallen und das soll es gefälligst auch nicht. Mein ästhetisches Empfinden, das eine sehr weit ausgelagerte Schmerzgrenze hat, will beleidigt werden. Oder umarmt. Nur nicht links liegen gelassen.
Ich gebe zu: Das sind hohe Erwartungen. Aber das sind tatsächlich genau die Erwartungen, die ich für mich persönlich an Kunst stelle. Alles, was darunter liegt, ist gefällig. Dabei meine ich keineswegs, dass Kunst immer die überfrachtete Message haben muss. Meinetwegen kann die manchmal auch einfach nur gut aussehen. Ich will mit meiner Freundin ja auch nicht immer über die politische Weltlage diskutieren, manchmal freu ich mich ja auch einfach nur, wenn sie mir zum Beispiel ihre Brüste zeigt. Das ist dann die Lust an der Ästhetik, für Kunst (und Beziehungen) eine nicht zu vernachlässigende Größe.
Ich habe im Vorfeld relativ bewusst wenig über die Documenta gelesen, ich wollte das erstmal vor Ort auf mich wirken lassen. Ich hab zwar mitbekommen, dass die künstlerische Leiterin Carolyn Christov-Bakargiev hier und da kritisiert wurde, aber in meiner Erinnerung war das bisher bei jeder Documenta so und vielleicht kann das ja auch gar nicht ausbleiben, wenn man so eine große Schau verantwortet. Irgendwer fühlt sich da ja immer auf den Schlips getreten und irgendwie mag das ja vielleicht auch der Sinn und die Kraft einer solchen Veranstaltung sein. Ins Blaue gemutmaßt.

Mein ästhetisches Empfinden,
das eine sehr weit ausgelagerte Schmerzgrenze hat,
will beleidigt werden.
Oder umarmt.
Nur nicht links liegen gelassen.

To cut a long story short: Nachdem ich nun die Documenta gesehen habe, würde ich die Dame auch kritisieren. Klar, niemand ist alleine für so eine Geschichte verantwortlich, aber Part ihres Jobs ist es ja auch, die Kritik an der Schau auf sich als Person zu bündeln und Kraft dieses Amtes muss ich ihr bescheinigen, vielleicht eine sehr langweilige Person zu sein, die irgendwie nichts zu sagen hat, aber denkt, sie müsste dringend was zu sagen haben, weswegen sie sich eine Botschaft auf den Bauch schnallt und damit durch Kassel rennt, in der Hoffnung, dass man sie nun als sehr politisch wahrnimmt. So kam das bei mir an.

Okay, ich hab nicht alles gesehen. Ich würde gerne wissen, ob überhaupt irgendjemand alles gesehen hat. Diese Ausstellung erschlägt einen mit so einer Masse an Kunst, auf die ganze Stadt verteilt, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll oder weiter machen oder aufhören. Man beginnt zu filtern, sich quasi seine eigene Ausstellung zusammenzubauen, die natürlich, man will ja offener Kunstinteressierter sein, auch Sachen berücksichtigt, die einem erstmal komisch vorkommen, aber im Großen und Ganzen dann doch eher das abdeckt, was einen wirklich interessiert.

Ein paar wenige Arbeiten haben es mir dann aber auch angetan:

Ontem, areias movediças
(Gestern, Flugsand)
von Renata Lucas

Die brasilianische Künstlerin hat eine Arbeit gemacht, die aus einem schönen und beeindruckenden praktischen Teil besteht, der auch das Erste war, was ich davon gesehen hab: Im Keller des Fridericaneums, des zentralen Ausstellungsortes der Documenta, sind an den holzvertäfelten Wänden dieses „klassischen“ Gewölbekellers (der so deutsch anmutet, dass man sich vorkommt wie im „Rathaus-Keller“, einer Lokalart, die es vermutlich in jeder (west)deutschen Kleinstadt gibt – oftmals auch nur „Ratskeller“ genannt) plötzlich ganz glatte und schräge Betonflächen, die weit in den Raum hineinragen. Das hat mich beeindruckt, die sahen toll aus. Dieser graue Beton, das hat auch eine gewisse Macht, eine bestimmte Kraft. Vor allem wenn der so in den Raum hineinläuft. Das ist so brachial. Beton kann man auf alles drauf machen und es wird sofort auch zu Beton. Daran hab ich totalen Spaß gehabt. Eine wirklich tolle Arbeit. Aber vor allem war es das noch gar nicht. Abends in unserer Schlafstätte (ein Zimmer in einem studentischen Öko-Pavillon, erbaut von Architekturstudenten) hab ich im Katalog noch gelesen, um was es Lucas eigentlich ging mit ihrer Arbeit: Diese Betonfundamente waren noch an zwei anderen Orten am Friedrichsplatz zu finden, nämlich im Keller des örtlichen Kaufhofs und in einem Privathaus. Zusammen ergeben sie die Ecken des Fundaments einer Pyramide, die so theoretisch über dem Platz liegt. Wie cool! Ich hab mich gleich noch mal so sehr über die Arbeit gefreut, als ich das gelesen hab. Viel später hab ich noch gelesen, dass in den Betonkonstrukten W-Lan-Router versteckt waren, mittels derer man sich auf einem Smartphone oder iPad oder so bestimmte Videos angucken konnte, die zeigen wie … ich hab’s schon wieder vergessen. Warum muss man die eigene Arbeit so überfrachten?

d(13)pfad
von Natascha Sadr Haghighian

Zugegeben: Bei dem Namen der Installation von Haghighian möchte man gar nicht meinen, es mit einer kreativen Person zu tun zu haben, aber ihre Arbeit für die Documenta war tatsächlich die spannende Umsetzung einer guten Idee: Die Karlsaue, diese riesen Grünanlage mitten in der Stadt, liegt tiefer als der Rest der Stadt und ist deshalb nur über lange Treppen oder Wege zu erreichen. Mitten in die Böschung hat die Berliner Künstlerin einen Trampelpfad angelegt, den man von der oberen Strasse aus sogar nur mit einer Leiter erreicht. Wenn man diesen Trampelpfad entlanggeht, hört man aus in den Gebüschen versteckten Lautsprechern allerlei von Menschen nachgemachte Tiergeräusche, die sich herrlich bescheuert anhören. Das alleine hätte mir schon gereicht. Ließe ja zur Not auch genügend Interpretationsspielraum – als Kommentar, wie der Mensch sich der Natur aufdrängt zum Beispiel. Aber dahinter steckt noch mehr, wie ich auch in diesem Fall erst später nachgelesen hab: Die Aufnahmen der Tiergeräusche sind „onomatopoetisch“ (geiles Wort für Galgenmännchen): Also Tierlaute aus verschiedenen Sprachen. Während wir für den Hund „Wau Wau“ sagen, sagen ja englischsprachige Länder zum Beispiel „Woof Woof“ und so weiter. In dreißig verschiedenen Sprachen tönt es auf dem Pfad aus dem Gebüsch, eingesprochen von Migranten aus Kassel. Dazu noch die Tatsache, dass die Böschung eigentlich auf Schutt aus den Nachkriegsjahren basiert und die ersten Migranten in Kassel noch in den ehemaligen Zwangsarbeiterlagern untergebracht wurden, während man auf den Trümmern des Krieges 12.000 Rosen pflanzte. Mit dem Wissen im Hinterkopf, bekommt der Pfad noch eine spannende Meta-Ebene, mit der man sich zwar nach der Ausstellung nie wieder beschäftigen wird, aber für den Moment reicht das ja vielleicht auch. Schöne Arbeit.

Dabei meine ich keineswegs,
dass Kunst immer die ­überfrachtete
Message haben muss.
Meinetwegen kann die manchmal
auch einfach nur gut aussehen.
Ich will mit meiner Freundin ja auch
nicht immer über die politische
Weltlage diskutieren,
manchmal freu ich mich ja auch
einfach nur, wenn sie mir
zum Beispiel ihre Brüste zeigt.

Reflection Room
von Marco Lutyens

Die Künstler, die nicht in einem der Haupthäuser ausstellen, bekamen in der Karlsaue Hütten gestellt, die sie nach eigenem Empfinden bauen/umbauen konnten. Wie es ihr Werk eben verlangte. Eine besonders schöne Fleißarbeit ist dabei Lutyens gelungen: Die Hütte, die man betritt, ist eher etwas karg eingerichtet: Ein Kamin, ein Hocker, eine Hängelampe und ein getrübtes Fenster. Aber: Direkt darunter ist der gleiche Raum noch mal, in echt, aber gespiegelt. Der hat also ein Loch ausgehoben, auf dem Standplatz seines Pavillons und den exakt selben Raum nach unten noch mal nachgebaut. Super. Ein sehr lustiger Mindtwist, wenn man davor steht. Allerdings: Man kann nur von einer Brüstung nach unten gucken und sich den Raum ansehen. Das schadet leider dem Effekt, man wird nur noch Zuschauer und die Unechtheit ist sofort klar, man ist aus der Idee ausgeschlossen, durch ein Metallgeländer. Das hat mir den Spaß leider ein wenig getrübt. Aber dennoch: Toll, aufwendige Arbeit. Respekt dafür. Lutyens selbst hielt in dem Raum regelmäßig Hypnosesitzungen ab, was auch dem Werk selber entspricht: Er wollte damit versuchen das Unbewusste zu visualisieren und den Zustand während einer Hypnose greifbarer, erlebbarer machen. Wie gesagt: Wenn man den Raum wirklich hätte erleben dürfen, hätte das vielleicht auch geklappt. Bleibt aber auf jeden Fall gut in Erinnerung.

The Importance of Telepathy
von Apichatpong
Weerasethakul

Eine riesige Statue eines Geistes, der wie aus einem asiatischen Geisterfilm entsprungen aussieht. Das war die Arbeit, die Roman unbedingt sehen wollte. Und nachdem wir ein wenig ziellos durch die Karlsaue gestolpert sind, haben wir sie auch endlich gefunden: Prominent mitten auf einer Lichtung steht sie, als hätte sie schon immer dort gestanden. Eingerahmt von großen Bäumen, von denen einige auch noch Hängematten zum ausruhen anbieten. Schön. Die Statue selbst sieht toll aus. Wie so asiatische Geisterfiguren eben immer so aussehen: Man ist sich nie sicher, ob man sich gruseln oder amüsieren soll. Und genau mit dieser Gratwanderung spielen die Geschichten ja üblicherweise auch. Die Angst vor der Metamorphose (des Anderen) ist ein oft verwendetes Stilmittel in asiatischen Erzählungen. Damit spielen diese Figuren, die eigentlich wie Schrumpelomas aussehen, die aber immer ein bedrohliches Moment des „jetzt werde ich gleich zum Monster“ haben. Die Statue in der Karlsaue funktioniert auch so. Riesengroß, weiß wie ein Gespenst, taucht sie plötzlich im Blickfeld auf. Alles bedrohliche, „gruselige“ Eigenschaften. Aber dieses schrumpelige Gesicht mit einem dicken Auge, davor muss man doch eigentlich keine Angst haben! Leichtes, angenehmes Unwohlsein beschleicht einen. Und diesen Gegensatz zu spüren, das ist spannend. Dass der Geist auch ein Mahnmal für die Menschenrechtsverletzungen in Thailand sein soll, wirkt wie draufgesetzt, um dem Werk noch politische Bedeutung zu verleihen, weil das auf der Documenta alle haben. Das braucht es aber gar nicht und kann getrost ignoriert werden. Ohne so eine politische Interpretationshilfe funktioniert die viel besser.
Das waren die ausstellerischen Highlights. Die Organisation rund um die Ausstellung ist großartig, alles hat reibungslos geklappt. Aber meine erste Documenta lässt mich mit einem riesigen Fragezeichen zurück. Gar kein spannendes, das mir dabei hilft, Fragen zu finden, von denen ich gar nicht wusste, dass ich sie mir stellen könnte. Ich hab auch meinen Blick auf die Welt nicht geändert oder wenigstens in Frage gestellt, noch hab ich ihn bestätigt bekommen. Das wäre alles auch gar nicht so schlimm, hätte ich nicht das Gefühl gehabt, das die Documenta das aber von mir erwartet. Ich finde die Auswahl der Künstler und Arbeiten war sehr lahm, sehr zahnlos. Da war nichts zwingendes dabei, nichts was mich geschüttelt hätte. Es war eher ein gegenseitiges Versichern, dass man ja auf der richtigen Seite sei. Dafür brauch ich aber keine Kunst, das kann man auch einfach schreiben zum Beispiel. Ich hatte bei den meisten Auftragsarbeiten das Gefühl einer großen Inspirationslosigkeit. Geradezu einer Leere. Nun mag Kassel, das wirklich nett war, auch nicht zu den inspirierendtsten Orten der Weltgeschichte gehören, aber dann muss man einen anderen Weg finden, dort seine Kunst zu präsentieren. Die Arbeit von Thomas Bayrle beispielsweise, der eine riesige Ausstellungsfläche in der Documenta-Halle bekommen hat, auf der er Motorenteile, Reliefs aus Plastikbahnen oder Flugzeugbilder aus Flugzeugteilen präsentierte, war so unglaublich langweilig, dass ich mich kurz fragte, ob ich aus Versehen im technischen Museum gelandet sei. Da ist es wieder: Dieses ungute Kunstbetriebsgefühl, dass sich die Leute da hauptsächlich gegenseitig auf die Schultern klopfen und jeder erstmal seine Homies unterbringt, bevor man sich überlegt, was man eigentlich will.

Da war nichts zwingendes dabei,
nichts was mich geschüttelt hätte.

Noch mal: Grundsätzlich finde ich es gut, eine solche große Ausstellung sehr politisch anzugehen und aufzuladen. Ein Stück weit ist das sogar ihre Pflicht, denn nichts generiert im Feld „Kunst“ mehr Aufmerksamkeit über Museums- und Galerie-Mauern hinweg, als die alle fünf Jahre stattfindende Documenta. Es wäre ein Frevel, das nicht für eine Message zu verwenden. Aber ich hab das Gefühl gehabt, dass nur die Message die Message gewesen wäre. Es gab keinen klaren Standpunkt in der Auswahl, zumindest keinen für mich nachvollziehbaren. Es war ein Ausverkauf von verschiedenen, ähnlichen Haltungen. Kein Ausbruch, kein Infragestellen. Totale Durchschnittlichkeit, denn wenn sich eh alle einig sind, entsteht eine Sicherheit, die jeden Zweifel erstickt.

Es war ein Ausverkauf von
verschiedenen, ähnlichen Haltungen.
Kein Ausbruch, kein Infragestellen.

Ein paar schöne Arbeiten, neben den oben genannten, mehr aber auch nicht. Vielleicht waren Roman und ich blauäugig, aber da haben wir wirklich mehr erwartet. Ich bin auf die nächste Documenta gespannt. Und hoffe, dass sie mich ärgert, anstatt mir egal zu sein.

Immerhin: Ich hab ein lustiges Wochenende mit meinem besten Freund in einer uns beiden fremden Stadt verbracht. Das macht irgendwie alles sinnvoll. Dafür auf jeden Fall danke, Frau Carolyn Christov-Bakargiev. Über den Rest können wir gerne streiten.

Text: Nilz Bokelberg
Fotos: Roman Libbertz

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Partyalarm in Berlin

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Kleine Quizfrage: Was haben der Photokünstler Anton Corbijn, die Elektropopper M.I.A. und die Indierocker Bloc Party gemeinsam? Okay, es war zu einfach: Alle Kreativen haben in diesem Jahr ein eigenes Etikett für die norddeutsche Biermarke Beck‘s designt. Wahrscheinlich hatte jeder von euch schon eines dieser untypisch bunten Label in der Hand oder wurde wenigstens schon vom plakativen Flächenbombardement in den Deutschen Großstädten geblendet. Mit dem Ende des Jahres geht auch die „Art Label”-Zeit in ihre spannendste Phase und steuert auf ein schönes Finale zum Anfassen hin. Denn Beck‘s spendiert mal wieder spannende Events und schicken ihre Labelkünstler auf die Straße. In Berlin: Bloc Party!

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Am 17.11. gehen die Briten endlich wieder ihrer eigentlichen Bestimmung nach: Rocken mit allen Tricks und Kniffen aber vor allen Dingen geradeaus und durch die Brust ins Tanzbein. Denn dann werden sie unter Schirmherrschaft ihres gerstensaftigen Teilzeitarbeitgebers in Berlin das E-Werk zum Kochen bringen. Die Tickets für dieses Events gibt es nicht zu kaufen, dafür aber zu gewinnen. Und so macht es doch gleich doppelt so viel Spaß. Ist dein Interesse geweckt? Bist du schon im Fieber? Ist das erste Beck‘s schon gelupft? Dann surfe gen becks.de und wirf dich ins Rennen um einen der begehrten Plätze.

Telekom Streetgigs mit Medina

Die Telekom Streetgigs kommen nach Münster in Westfalen und veranstalten dort mal wieder ein Konzert am außergewöhnlichen Ort. Ein kleines Ratespiel, wer wo spielt? Okay, drei Hinweise: Bässe gegen Bücher, Pop gegen Poesie oder auch Medina gegen Medea.

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Ganz genau, die dänische Dance- und Popqueen Medina wird der altehrwürdigen Stadtbibliothek in Münster zu neuen Weihen verhelfen und dort für eine ganz kleine Schar Glücklicher ein Popfeuerwerk zwischen leicht entzündlichem Material abfeuern. Wenn das die Bibliothekarin mitbekommt… Gut, dass das Konzert natürlich nach dem Tagesbetrieb stattfindet. Junge Klassiker wie „You and I”, „Forever”, “The One” oder “Gutter” gibt es am 02.12. auf die Ohren – aber nur für alle mit Bibliotheksausweis. Nein, stimmt nicht. Zugang zu diesem dänischen Abend der Extraklasse gibt es Ausnahmsweise auch ohne Ausweis. Allerdings nur für die Glücklichen, die auf www.telekom-streetgigs.de mitgemacht und einen Gästelistenplatz abgeräumt haben. Wir haben zwar keine Tickets, aber ein prima Medina-Fanpaket, bestehend aus Shirt, aktuellem Album und Poster der „Erleuchteten”.

Schreibt einfach – nachdem ihr euch in die Verlosungsschlacht für den Gig geworfen habt – eine Mail mit eurer Adresse und dem Betreff „Medina” an verlosung[at]blank-magazin.de. Wer das bis zum 31.10. schafft, ist bei uns im Pott.

TelekomStreetGigsMedina

Nicht nur der Ton macht die Musik

Fritz Kalkbrenner ist ein Wanderer zwischen den Welten. Oder nein, er ist vielmehr ein Mittler. Mit beiden Beinen knietief im Schweiß der traditionellen Clubszene stehend, streckt er die Arme aus, um sich festzukrallen an dem, was so oft missverständlich Mainstream genannt wird.

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Gemeint ist die Symbiose aus trockenen Clubbeats und organischen, bisweilen hymnischen Melodieparts. „In House gegossene Popmusik“ nennt das die Presseinfo und beschreibt das Werk des Berliners damit passend. Es ist fast ein bisschen grotesk: Denn mehr noch als Bruder Paul, der inzwischen jährlich in Berlin und dem Rest Deutschlands riesige Massenveranstaltungen zelebriert, steht Kalkbrenner der Jüngere für das massenkombatible Moment des Techno, ohne sich in die Gefilde des Trance zu verlaufen. Und womit der Berliner auf seinem gefeierten 2010er-Debüt „Here Today Gone Tomorrow“ begonnen hat, das führt er zwei Jahre später konsequent und noch ambitionierter fort: Fritz Kalkbrenner ist weiterhin der große Lyriker unter den Elektroproduzenten. Denn während die Kollegen aus dem kommerziellen Bereich Gesang höchstens als Klangfarbe, als weiteres Instrument einsetzen, geht es Kalkbrenner um weit mehr als das: Die Worte als eigenständigen Teil seiner Kunst. Ambitioniert und künstlerisch wertvoll. Im Folgenden über die Musik, die Wurzeln und was eigentlich wem gehört und wohin.

BLANK: Techno und Gesang – auf diesem Feld bist du Pionier, stehst ja fast alleine da. Glaubst du, die Technofreunde würden sich mehr Lyrics wünschen?
FK: Offen gesagt: Ich weiß es nicht. Bei mir war das Texten und Singen neben dem Produzieren immer ein integraler Bestandteil meiner Arbeit und ich habe nie davon gelassen.

BLANK: Und denkst du, dass da überhaupt etwas hängen bleibt?
FK: Auch hier: Ich weiß es nicht. Ich kriege aber oft gutes Feedback zu den Inhalten der Lyrics und darüber freue ich mich. Ich kann aber auch verstehen, wenn das einfach an den Hörern vorbei geht, weil die sich auf den physischen Aspekt der Musik konzentrieren wollen.

Ich könnte also einem übergroßen Fokus auf die Lyrics gar nicht gerecht werden.

BLANK: Wünschst du dir nicht manchmal beim Texten, Liedermacher zu sein? Der weiß, dass die Leute jedes einzelne geschriebene Wort aufsaugen und auswerten?
FK: Nein, absolut nicht. Denn dafür müsste ich eine ganz wichtige Komponente der Kunst vernachlässigen müssen: Das Produzieren. Ich könnte also einem übergroßen Fokus auf die Lyrics gar nicht gerecht werden, da ich ja zwischen den Stühlen stehe und beides bedienen muss und möchte. Dass man dann hier und da auch Abstriche machen muss, lässt sich nicht vermeiden. Das ist aber auch okay.

BLANK: Du bist einer der wenigen ganz großen Namen, die nicht auf eine beeindruckende Liste an Remixen blicken können. Warum?
FK: Ich habe nicht nur keine beeindruckende Liste an Remixen, sondern habe überhaupt noch keinen gemacht. Dass das so ist, hat sich über die Zeit entwickelt. Denn zuerst gab es einfach keine Anfragen und dann gab es auf einmal sehr viele. Irgendwo auf diesem Weg habe ich mich dazu entschlossen, nicht ohne weiteres Remixanfragen anzunehmen. Irgendwann hat sich diese Ablehnung verselbstständigt und die Latte, wer da kommen müsste, wurde ständig höher gelegt.

BLANK: Wer müsste denn nun kommen?
FK: Ich würde mich gerne an Motown-Einzelspuren wagen und mich über die her machen. Das ist aber auch wirklich schon ganz schön weit hergeholt. Um ehrlich zu sein: Dieser ­Gedanke des Remixens spielt bei mir einfach keine besonders große Rolle in der täglichen Arbeit. Das Selberproduzieren ist mir wichtiger. Aber wie gesagt: Wenn Motown kämen und mir ein paar Einzelspuren anbieten würden, dann würde ich wahrscheinlich nicht „Nein“ sagen.

BLANK: Gibt es Unterschiede bei deinen Sets weltweit? Lieben die Australier eine andere Dramaturgie als die Südamerikaner?
FK: Die Livesets hängen vor allem von meiner Befindlichkeit und meiner Tagesform ab. Dass die Dramaturgie sich nach dem Kontinent, der Stadt oder der Location richtet ist zumindest bei mir nicht so. Ich weiß allerdings nicht, ob das für oder gegen irgendetwas spricht, dass die Menschen auf der ganzen Welt gleich feiern.

BLANK: Wo siehst du den Techno denn überhaupt zuhause? In den Clubs, wo er her kommt oder doch auf den großen Open-Air-Veranstaltungen? Und warum?
FK: Eine Frage, über die sich die Traditionalisten und die besonders der Zukunft Zugewandten fröhlich die Köpfe einschlagen könnten. Natürlich kommt der Techno historisch betrachtet aus den Clubs, aber die Frage, wo er hingehört greift zu kurz. Man sollte aber doch weder das eine noch das andere kritisieren, sondern sich stattdessen lieber freuen, dass man die Chance hat, beides zu genießen. Es gibt ja auch durchaus grundlegende Unterschiede, denn während die Festivalsets auf die kurzfristigere Wahrnehmung setzen, haben die Sets in den Clubs einen längeren Spannungsbogen. Freuen wir uns unter dem Strich einfach, dass es sowohl die intime, als auch die großflächige Wahrnehmung gibt.

Es gab das ja auch schon, dass elektronische Künstler nach ihrer künstlerischen Wiedergeburt dann auf einmal mit einer Band auf der Bühne standen.

BLANK: Auf deinem neuen Album stehen wieder einige organische, analoge Instrumentenparts. Wie weit ist der Gedanke gediehen, mal mit Band ein Liveset zu spielen?
FK: Den Gedanken gibt es, er ist allerdings noch nicht sehr stark ausgeprägt. Ich überlege aber, auf der Tour zu „Sick Travelin´“ Livegesang in meine Liveshow einzubinden. Alles mit einer Band live umzusetzen halte ich aber nicht für den richtigen Weg bei mir. Das wäre eine zu starke Abkehr vom originären Gedanken der Clubmusik wäre, dem ich ja auch verbunden bin. Es gab das ja auch schon, dass elektronische Künstler nach ihrer künstlerischen Wiedergeburt dann auf einmal mit einer Band auf der Bühne standen. Das würde mir persönlich jetzt einen Schritt zu weit gehen. Ich möchte aber auch nicht kategorisch ausschließen, dass es so etwas auch bei mir mal geben könnte. Aber auf alle Fälle nicht so bald.

BLANK: Wie bist du denn überhaupt in die Elektroszene rein gekommen und fühlst du dich da zu 100% richtig aufgehoben?
FK: In die so genannte Szene bin ich auf eine ganz natürliche Art rein gekommen: Durch Freunde und natürlich meinen Bruder schon vor vielen, vielen Jahren. Die Liebe zur Clubmusik, sei es nun House oder Techno, war immer gleichberechtigt mit der zu Soul und Hip-Hop. Es war immer mehr sozusagen eine konzeptionelle Frage, wo die Musik am besten stattfinden kann. In meinem Fall ist die „Szene“ ein großer Zirkel von Freunden und Kollegen, die alle etwas ähnliches machen, wie ich. Und da ist mir oft aufgefallen, dass die sich in ihrer Wahrnehmung älteren Sachen gegenüber gar nicht so sehr davon unterscheiden, wie ich mich positioniere.

BLANK: Liest man Interviews mit dir, fallen als Einfluss oder „Helden“ deutlich öfter die Namen von Soul oder Hip Hop-Größen als die von Elektrohausnummern.
FK: Es ist gar nicht so außergewöhnlich, Elektroproduzent zu sein und sich daheim den lieben, langen Tag Hip-Hop- und Soulplatten rein zu pfeifen.

BLANK: In einem älteren Interview sagtest du, dass du die Deutungshoheit über deine Kunst verlierst in dem Moment in dem du sie veröffentlichst. Bereitet dir das nicht Bauchschmerzen? Gerade in dem Bereich, in dem es um deine Texte geht.
FK: Mit dem Verlust der Deutungshoheit gehen mir auch alle Ängste und Sorgen, wie mit meiner Musik und den Lyrics umgegangen wird, ab. Wenn ich mir Sorgen machen würde, dass die Wahrnehmung der Inhalte in einer Art und Weise stattfindet, die mir nicht gefällt, müsste ich mich entscheiden, die Sachen gar nicht erst zu veröffentlichen. Ein Künstler, der es nicht ertragen kann, dass seine Sachen auch kritisch besprochen und konsumiert werden, darf sie nicht veröffentlichen. So einfach ist das.

Davon, dass Fritz Kalkbrenner sich gottlob anders entschieden hat, kann man sich ab dem 19. Oktober überzeugen. Dann steht „Sick Travellin‘“ bereit, um unter die Lupe genommen und gedreht und gewendet zu werden. Und eigentlich muss sich der Friedrichshainer keine großen Gedanken machen, dass die Rezeption seines Werkes irgendwie aus dem Ruder laufen könnte. Denn das, was in den vergangenen Monaten in den frisch bezogenen Suol-Studios entstanden ist, knüpft da an, führt die Idee des Vorgängers mit einer Konsequenz auf ein neues Level, dass die Dancefloors schnell zu eng werden könnten. Kalkbrenner hat 14 Songs geschaffen, die zu organisch, zu physisch, zu greifbar elegant sind, dass sie zu schade sind, immer nur in der selben Szene zu zirkulieren. Ab Januar stellt Fritz Kalkbrenner sein Album in den Clubs vor.

Interview: Till Erdenberger | Fotografie: Torben Conrad

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Wenn Aschenputtel auf Peitsche trifft

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Auch unsere Autorin Mirka Uhrmacher hat sich durch den Buch-Hit der Saison gequält. Und vielleicht ist das der Beginn einer wunderbareren Karriere als Fetisch-Fotografin. Ansonsten hat “Shades Of Grey” nicht viel zu bieten. Hatten wir irgendwie erwartet. Und feministisch ist das Ganze auch nicht unbedingt. Fifty Shades of Grey oder auch Shades of Grey – Geheimes Verlangen, wie es in der deutschen Übersetzung in guter Groschenromanmanier heißt, führt neben dem offiziellen Titel noch den Beinamen Das Buch. Ob aus literarischer Sicht zu Recht oder nicht sei einmal dahingestellt, diese Kategorie ist hier sowieso eher nebensächlich.

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Was tatsächlich zur Beschäftigung mit E.L. James Megabestseller herausfordert, ist der erstaunliche und bisweilen auch erschreckend anmutende Erfolg eines Skandalromans, der völlig ohne nennenswert skandalöse Inhalte und ebenfalls ohne interessante Story auskommt. Dass man die 600 Seiten trotzdem durchhält, ist ein Phänomen. Und so ist eigentlich auch vor allem die Frage spannend, wie ein dermaßen schlecht und eintönig geschriebener Schund einen solchen Hype auslösen kann. Die Autorin – ein großer Fan der Twilight-„Saga“ – schreibt so originell und variantenreich wie ein automatisches Textgenerierungsprogramm. Alle drei Zeilen errötet das graue Mäuschen von Protagonistin, während sie die Fassung verliert, es nicht glauben kann, vor Erregung und Verlangen weder ein noch aus weiß, mit ihrem Unterbewusstsein (äh…) und ihrer inneren Göttin (was zum…?!) zu kommunizieren versucht und nervtötende ‚Oh’s oder ‚Wow’s in die leere Luft ihres Kopfes blubbert. Anastasia Steel ist so unfassbar naiv, dass man sich fragen muss, wie sie es bis ins hohe Alter von 21 Jahren – wohlgemerkt ohne jemals dabei über oder gar auf einen Mann gestolpert zu sein – geschafft hat. Christian Grey dagegen, atemberaubend schön und reich und attraktiv und smart und gutaussehend und geheimnisvoll und, ja, schön halt – schon gehen einem die Synonyme aus! – , weiß alles, kann alles, ist die Souveränität in Person und wird nur, ach wie romantisch, bei der tollpatschigen kleinen Literaturstudentin schwach, die zufällig in sein Büro purzelt. Aschenputtel lässt grüßen. Er bringt daraufhin erwartungskonform ihre Welt total durcheinander und sie die seine. Doch ein dunkles Geheimnis, welches den Astralkörper des Christian Grey aurengleich umflattert, macht die ganze Sache natürlich reichlich kompliziert. Der ‚schwarze Prinz‘, als welcher er stilisiert wird, hatte eine schwere Kindheit (schnief) und ist seitdem ziemlich verkorkst. Aber von Ana kann er die Finger nicht lassen und sie praktischerweise ihre auch nicht von ihm und so konfrontiert er sie mit seinen ungewöhnlichen Leidenschaften: einem vor Klischees triefenden Spielzimmer, in dem es alle landläufig assoziierten BDSM-Utensilien gibt. Dass dieser Raum eher an wenig kreative, dafür aber mit einem ordentlichen Mengenrabatt für roten Samt ausgestattete Bordelle erinnert, ist innerhalb der sterilen und hypermodernen Penthousewohnung des Multimillionärs Christian Grey sicherlich nicht gewollt, aber unvermeidbar und extrem störend. Jungfrau Ana ist jedenfalls erst einmal angemessen schockiert, lässt sich daraufhin aber prompt von diesem ‚perversen Schwein‘ entjungfern, verliert vor lauter Orgasmen dabei fast das Bewusstsein und entschließt sich, aufgrund ihrer pubertär überzogenen Gefühle, die eher an die Verehrung einer Boyband oder eines Filmstars erinnern, seine kleinen Spielchen mitzumachen. Sie kriegt den Po versohlt und Reitgerten eingeführt, windet sich stets brav unter den ekstatischen Zuckungen ihrer unzähligen Orgasmen, bekommt MacBooks, Smartphones, Autos und Klamotten geschenkt und weint manchmal, weil das dann doch alles irgendwie ein bisschen viel für sie ist. Christian bleibt ihr – das ist ja auch seine Aufgabe – ein riesiges Geheimnis, klar ist nur, dass sie ihn retten will und muss. Vor sich selbst und seiner bösen dunklen Seite. Denn sie will ‚Mehr‘, und um dieses kleine magische Wörtchen entspinnt sich eine belanglose Geschichte, in der abgesehen von den äußerst sparsam zum Einsatz gebrachten Spielzeugen kaum ‚härter gefickt‘ wird, als bei den meisten Paaren zu Beginn ihrer Beziehung, in der nur ganz selten mal jemand haut und in der Ana maximal gefesselt und zu vierzigstimmigen Kirchenchören sanft mit einer Peitsche in bis dato völlig unbekannten Sphären der Lust vor sich hin dümpelt. An dem Punkt, wo Mr. Grey endlich mal richtig zulangt, schreit sie ihn an, wünscht ihn zum Teufel, verlässt ihn und sein Megahyperluxuspenthouse – und das Buch ist zu Ende. Meine Güte.

Irritierender als der haarsträubende Schreibstil und die nichtssagende Story ist letzten Endes nur der Kontext, in dem dieses Werk seinen Anfang nahm. Geboren als einfallslose Fanfiction und ursprünglich den beiden Twilight-Dummdöseln auf den Leib geschrieben, ist die Tatsache, dass da eine verheiratete Frau Mitte 40 einen Jugendroman vergöttert und passioniert weiterschreibt der wirklich verstörende Fakt. Es wäre sicherlich spannend zu erfahren, was sie zu dem jüngsten Skandal um Vampirella Kristen Stewart zu sagen hat, die den armen Robert Grey… äh, Pattinson betrogen hat. Bei Youtube gibt es hierzu Videos von Fans, die weinen und schreien und zetern und… das ist wirklich alles hochgradig gruselig. Was bringt erwachsene Frauen, von denen man annehmen sollte, dass sie mitten im Leben stehen, bloß zu einem dermaßen fragwürdigen Verhalten? Was treibt sowohl Autorin wie Leserinnenschaft an? Sexuelle Revolution? Ein (antifeministischer) Backclash? Oder doch ein noch viel weitreichenderer Wunsch, nämlich der nach himmlischer Infantilität?

Der Umstand aber, dass dieses Meisterwerk an Stumpfsinn so erfolgreich ist, wirft offensichtlich Fragen auf. Was um alles in der Welt ist da los? Seichte Lektüre mit kleinen erotischen Einsprengseln sei jedem zugestanden und ist wirklich etwas Schönes. Wenn aber öfter ‚postkoitales Haar‘ gekämmt und irgendwas gegessen wird, als dass es mal richtig zur Sache geht (denn hey, das erwarte ich nun mal von so einem Roman!), der geschilderte Sex reichlich kurz ausfällt, da Ana schon kommt, ehe sich der durch das Lesen ausgelöste sexuelle Reiz bis zum Gehirn des Lesers – oder eher: der Leserin – vorgekämpft hat, dann macht das reichlich wenig Sinn. Was also feiern Millionen von Frauen an diesen 600 Seiten Eintönigkeit? Tatsächlich eine sexuelle Revolution, durch die endlich eine tabufreie Thematisierung des SM-Bereichs ermöglicht wird? Na, wohl mitnichten! Ganz im Gegenteil wird diese sexuelle Vorliebe hier nicht salonfähig gemacht, sondern als Entartung, Perversion und Krankheit gebrandmarkt. Immerhin steht ja genau das zwischen Ana und Christian, steht ihrer tiefen Liebe (hach ja) im Weg, macht alles kompliziert, gehört therapiert. Ausgelöst durch seine traumatische Kindheit (hach ja) ist Mr. Grey nicht dazu in der Lage, eine andere Art von Nähe zuzulassen. Auch wenn er heftig dementiert, als Kind missbraucht worden zu sein, Ana erzählt diese Geschichte aus der Ich-Perspektive (hach ja), es gibt keinen Erzähler, der für eine objektive Ansicht zurate gezogen werden könnte. Und in Anas Augen ist der gute Mr. Grey ein gutaussehendes, reiches, missbrauchtes und perverses Schwein, das es zu retten gilt. Wenn so ‚salonfähig‘ aussieht… Irgendwie kann es das also nicht sein.

Also doch der Wunsch nach alten Rollenverhältnissen? Aber Feministinnen sollten nicht aufschreien, weil sich hier eine Frau freiwillig einem Mann unterordnen würde. Das will Ana ja gar nicht! Das störrische kleine pubertäre Gör versteht den Sinn dieser ganzen Sache nämlich überhaupt nicht. Zudem wäre die Unterwerfung eines dermaßen leicht zu manipulierenden Mädchens auch nicht überaus attraktiv. Was mich selbst – unabhängig nun von allem Gender-Gerede – echt auf die Palme gebracht hat ist, dass Ana fröhlich auch auf den Gebrauch ihrer letzten noch verbleibenden dreieinhalb Gehirnzellen verzichtet und dieser Umstand bei Frauen rund um den Globus scheinbar feuchte Höschen hervorruft. Ja Sakrament, ist das die Vorstellung einer erfüllten Sexualität im 21. Jahrhundert? Eine Jungfrau trifft auf einen Experten und wird von da an von Orgasmen nur so überschüttet, ohne auch nur den Hauch einer Ahnung von ihrem eigenen Körper zu haben? Es ist eine alte und überaus faule Ausrede, schlechten Sex immer nur auf die Unfähigkeit des Mannes zu schieben. Eine Frau, die schlechten Sex hat, ist in den allermeisten Fällen selbst daran schuld. Und folglich ist auch guter Sex nicht das Ergebnis von Hexerei oder glücklichen Zufällen, sondern logische Konsequenz aus einem offenen Verhältnis zum Partner, zu sich selbst und den Bedürfnissen des eigenen Körpers. Aber nein, Ana lebt einen anderen Traum vor: man muss nichts wissen, nichts können, keinerlei Erfahrungen haben oder machen und am allerwenigsten muss man selbst wissen, was man will. Man muss nur den 6er im Lotto finden, den Kerl, der alles wie durch Zauberhand weiß und kann und durch seine übersinnlichen Fähigkeiten schon Brustwarzenzupfen in Orgasmuswellen konvertiert. Jubilieren da die frustrierten Hausfrauen, die sich der Sache nicht selbst annehmen wollen? Weil ihnen hier die Verantwortung für ihre eigene Sexualität abgenommen wird, da es eben eines Christian Greys bedürfe, damit auch in ihrem Unterstübchen mal Ozeane branden? Das scheint bitter, aber nicht abwegig.

Die Darstellung einer unmündigen Sexualität ist aber nur der Gipfel des Simplifizierungs-Eisbergs. Denn in Shades of Grey wird alles so stark vereinfacht und in solch abgedroschene Kategorisierungen gestopft, dass die Erwähnung der Farbe ‚Grau‘ im Titel schon an ein Meisterwerk unbeabsichtigter Komik grenzt. Statt Facetten gibt es nur das Schwarz und Weiß einer Welt, die so eindimensional ist, dass keinerlei Mitdenken mehr erforderlich ist, weder auf Seiten der Protagonisten noch auf Seiten der Rezipienten. Wieder Teenie sein, aber Erwachsenenspielchen spielen, das scheint Trumpf.

In den Worten von Christian Grey ist angelegt, was eigentlich tatsächlich für immer mehr Frauen reizvoll wird: „All die Entscheidungen, die ermüdenden Überlegungen und Grübeleien, die damit verbunden sind. Diese Frage, ob es auch wirklich das Richtige ist. Ob es wirklich jetzt passieren soll. Und hier. Über all das müsstest du dir keine Gedanken mehr machen“. Das Pendant zum Manager, der sich ab und an mal durchpeitschen lässt, Verantwortung ablegt, mal nicht die Anweisungen gibt, sondern einfach mit sich machen lässt. Eine moderne, emanzipierte und erfolgreiche Frau zu sein, das ist anstrengend und manchmal möchte man einfach nur einen richtigen Kerl an der Seite haben, der das Denken unterbindet und sagt, was Sache ist. ‚Ficken‘ eben. Doch so eine Frau ist Anastasia Steel nicht. Es sind keine kurzzeitigen Fluchten aus der anstrengenden Realität, die sie mit Christian Grey unternimmt, denn ihre Realität ist nicht im Geringsten anstrengend. Und Christian Grey wiederum ist nicht der psychisch gefestigte Charakter, dessen Überlegenheit man sich gern einmal temporär unterwerfen möchte. Es geht nicht um die positiven Aspekte von Dominanzverhältnissen und auch nicht um die lustvolle Dimension des Schmerzes. Anastasia bringt es auf den Punkt: „Vor mir steht ein Mann, der dringend Hilfe braucht. Was aus ihm spricht, ist die nackte Angst, doch er ist verloren… irgendwo in der Dunkelheit, die in seinem Innersten herrscht. Er sieht mich aus weit aufgerissenen Augen an, in denen die blanke Qual steht. Aber kann ich ihm helfen, kann ich zu ihm hinabsteigen, in seine Dunkelheit, und ihn ins Licht holen?“ Das irgendwo aufgeschnappte Konzept wird verworfen zugunsten eines unreifen Helfersyndroms unter Aufgabe nicht etwa der anstrengenden Alltagsverantwortung, sondern der Verantwortung generell, nicht zuletzt auch der wundervollen Verantwortung der eigenen Sexualität gegenüber, die sehr wohl emanzipiert ist, auch wenn ein Teil von ihr sich nach Unterwerfung sehnt. Salonfähig machen, hm? In Shades of Grey geht es nicht darum, ein unzeitgemäßes Tabu zu brechen, um endlich über etwas sprechen zu können, das nicht krankhaft und nicht falsch ist. Es geht darum, das „Ausmaß [der] Verderbtheit“ zu schildern und sich insgeheim erregt an Selbiger zu reiben, eben weil das Tabu unangetastet bestehen bleibt. Hierzu wird das Ideal einer sexuell völlig unerfahrenen jungen Frau stilisiert, die nicht nur sich, sondern auch ihre Sexualität dem Manne unterwirft und deren Unmündigkeit (immerhin kriegt sie ‚im Mündlichen‘ die Note 1 von ihm) nicht im Geringsten problematisch erscheint. Das, meine Damen und Herren, ist traurig. Die sexuelle Unterwerfung ist eine hohe Kunst, zu deren Ausübung es zweier äußerst willensstarker Partner bedarf, denn der Sinn liegt nicht darin, einer schwachen Frau den eigenen Willen aufzuzwingen, sondern eine starke Frau dazu zu bringen, schwach sein zu wollen. Das Problem liegt also nicht im Thema – darf sich eine Frau in Zeiten der Emanzipation gern unterwerfen? – , sondern in der falschen Darstellung. Dass die Leserinnen hierin kein Problem sehen, ist nicht darauf zurückzuführen, dass sie in feministischer Sicht bereits jenseits von Gut und Böse sind, sondern deutet darauf hin, dass hier nicht maßgeblich der Wunsch nach sadomasochistischen Praktiken im Vordergrund steht. Das ist nur die kleine Prise Würze und Tabu, die das Gefühl vermittelt, etwas Unanständiges zu tun. Hätten wir es mit mental erwachsenen und sexuell selbstbestimmten Frauen zu tun, könnte dieses Gefühl jedoch gar nicht erst aufkommen. Weder Tabubruch noch Backclash können also als Erklärungsmodelle für den Erfolg dieses Romans herhalten. Was Millionen von Frauen dazu treibt, nur durch sexuelle Implikationen von Teenieromanen zu unterscheidende Bücher und Filme zu verschlingen, ist ein tiefsitzender Wunsch nach Vereinfachung, danach, nicht schuld zu sein und keine Verantwortung übernehmen zu müssen, im Endeffekt nach unschuldiger Kindlichkeit. Nur die Sache mit dem Sex wird als scheinbar einzige lohnenswerte Errungenschaft des Erwachsenendaseins noch mit hinübergerettet, aber bitte erst nach einer umfassenden Säuberung von allen realistischen und damit unangenehmen Zügen. Nicht der Feminismus ist diesen Frauen zu kompliziert, sondern die gesamte Welt ist es. Sie sehnen sich zurück in die Zeit einfacher Kategorisierungen und abgedroschener Romantikvorstellungen, fernab der ernüchternden Enttäuschungen, die das Leben jenseits der Pubertät bestimmen. Erotik ist hier nur eine Spielart, das tatsächliche Anliegen heißt Flucht. Wie schon erwähnt, ist eine temporäre Flucht etwas Herrliches, und Literatur ist letztendlich nichts anderes. Schwierig wird das Ganze erst, wenn nicht in die Passion geflüchtet, sondern die Flucht zur Passion wird.

Positiv hervorzuheben bleibt, dass sich Fifty Shades of Grey in rasantem Tempo lesen lässt. Die große Zahl der Fließband-Leserinnen kann hier die gewohnt raschen Fortschritte verbuchen. Ansonsten haben wir es mit einem alles andere als vielseitigen Roman zu tun. Es gibt keine facettenreiche Story und am wenigsten gibt es fünfzig verschiedene Facetten des Christian Grey. Er ist schlicht das Abziehbild eines – übrigens klassisch von Frauen imaginierten! – Stereotyps, ergänzt um exakt nur eine einzige Facette: seinen Hang zur Dominanz. Anastasia Steel fehlt es schließlich sogar an dieser Einen. Um abschließend die wundervolle Verballhornung zu zitieren, die das TITANIC-Magazin in einem völlig anderen Kontext verwendet hat: Extrem lau und unglaublich blah. Aber doch besorgniserregend.

Mirka Uhrmacher

Chris Boyd „15 Changes“

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Chris Boyd, Jahrgang ‘89, ist mit seinen jungen Jahren zwar schon ein länger in der Berliner Houseszene unterwegs, man darf ihn aber dennoch ohne Zweifel als echten Newcomer bezeichnen. 2010 startete er eine Veranstaltungsreihe im Namen des House, legte zusammen mit Szenegrößen wie Oliver Gehrmann, Patryk Molinari, Marc Poppcke und vielen anderen auf und saugte sich seine Inspiration zwischen der heimischen Clubwelt und vor allem der bebenden UK Garage Szene in Bristol.

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Nun legt der Berliner sein erstes vollständiges Set vor. Die Elektroaktivisten kürten es bereits zum Set der Woche und wir ziehen gerne nach: „15 Changes“ beschreibt die Verwandlung von groovigem House zu tieferen Ebenen der Clubszene. Dabei liefert die erste Viertelstunde Deephouse Tracks, bevor der Vibe sich durch dröhnende Percussion-Grooves und hämmernde Bässe in ein energetisches Inferno wandelt. Wer neugierig geworden ist, kann sich das Set hier anhören.

Das Booking von Chris Boyd hat übrigens das Kollektiv von Fabelwesen Berlin übernommen. Nicht die schlechteste Referenz – man wird den jungen DJ also in Zukunft sicher öfter an den Turntables der Hauptstadt bewundern dürfen.

Till Erdenberger

„Wenn die Nacht am stillsten ist”
von Arezu Weitholz

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erscheint im Verlag Antje Kunstmann am 5. September

Es ist nicht so, als ob auf die klischeehafte Oberflächlichkeit der Irgendwasmitmedienbranche nicht schon exzessiv drauf gehauen wurde, aufschlagen, zuschlagen, immer wieder. Bücherweise. John Niven meisterlich und mit unfassbar anarchischem Mitekelhumor in „Kill Your Friends“, Frédéric Beigbeder ebenso meisterlich und abgrundtief fesselnd in „39,90“ und viele andere in Schattierungen oder Ableitungen. Aber keiner hat es bisher geschafft, so eloquent, so menschlich und so greifbar über die zwischen Konsumterror und der Suche nach einem höheren Sinn gefangenen selbst ernannten Opinion Leader zu schreiben, wie die Berlinerin Arezu Weitholz in „Wenn die Nacht am stillsten ist“, ihrem jüngst im Verlag Antje Kunstmann erschienen Romandebüt.

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In einem Kammerspiel lässt sie Anna, unpoetisch aber romantisch, optimistisch aber beladen mit einer schweren Vergangenheit und anstrengender Gegenwart, am Bett ihres stillen und beinahe regungslosen Partners Ludwig eine Lebensbeichte ablegen. Ludwig, Medienmensch, Hedonist, poetisch aber gefühlskalt, liegt in einer Art Wachkoma und gibt keine Widerworte, während Anna ihm, sich und uns von einer bezaubernd unverdorbenen Warte aus ihr eigenes und das gemeinsame Leben erzählt. Dass beide Geheimnisse voreinander hatten, die nun zur Sprache kommen oder alte und neue Wunden aufreißen, die Entwicklung ihrer Beziehung und die Frage, ob Ludwig absichtlich eine Überdosis Schlaftabletten genommen hat, um aus dem Leben zu scheiden, das für ihn beruflich eine Wendung zu nehmen schien, ist das dramatische Moment, der dramaturgische Faden, der den Roman am Laufen hält. Leben eingehaucht bekommt er aber vor allem durch die Wort-, nein, die Satzmacht der Autorin, die dieses Werk selbst dann außergewöhnlich machte, wäre es eine bloße Aneinanderreihung von Sätzen. Weitholz versammelt in „Wenn die Nacht am stillsten ist“ Sätze von so absoluter und gleichzeitig nonchalanter Schönheit und Wahrheit, dass man sie gerne absätzeweise mit jemand ganz besonderem teilen möchte. Dass sie dabei meistens unerfreuliches oder wenigstens unappetitliches transportiert, spielt für Momente keine Rollen. Form und Funktion gehen bei der Autorin meisterhaft Hand in Hand und wenn sie ihre Protagonistin bittere Wahrheiten in Sätzen aussprechen lässt, die auch der Refrain deines neuen Lieblingslieds sein könnten, dann ist das reine Berechnung. Und natürlich soll die romantische Anna mit all ihren Problemen, ihrer Vorgeschichte, ihrem Lieben und ihrem Verlassenwerden der Gegenentwurf zum verlassenden, zum kalten und nur sich selbst und die Symbole des Konsums und der Hochkultur liebenden Ludwig sein, ein guter Mensch, vielleicht sogar so etwas wie eine sympathische Verliererin. Charakterfest selbst in der Krise, barmherzig vor allem gegenüber anderen. Wenn es in dieser Geschichte einen Sympathieträger geben würde, denjenigen, auf den man alle seine Empathie verwenden würde, dann wäre es nicht Ludwig.

Versuchte Arezu Weitholz also ein Plädoyer für die Überlegenheit der emotionalen Tiefe gegenüber der hedonistischen Oberflächlichkeit zu halten? Wohl kaum. Ihr Buch lässt am Ende keine Gewinner übrig, aber vielleicht wenigstens ein bisschen Hoffnung. Hoffnung, dass der Schein dem Sein höchstens ein Spiegel ist, die Fläche für Reflektion und die Möglichkeit zur letztendlichen Erkenntnis, dass alles Leben nur einem Punkt zustrebt. Und an diesem Punkt ist es Zeit, die Karten auf den Tisch zu legen.

Till Erdenberger

Foll Lustik

lol

Die deutsche Sprache brachte der Welt wunderbare Kunst: Die Lyrik Goethes, die Prosa von Grass oder die Wortmacht von Polt.

Die Autoren Manuel Grebing und Stephan Scheler brachten der Welt immerhin schon zwei Ausgaben von „Cumshots“, zwei wunderbaren Dokumentationen der Absurditäten der Sexfilmchenindustrie. Im Sommer 2012 haben beide ihre Kompetenzen vereinigt. Das Ergebnis heißt „Lolst du noch oder roflst du schon“ und ist eine überaus komische, gleichermaßen schonungslose, womöglich erschreckende und hoffentlich nicht repräsentative Bestandsaufnahme des Deutschen im 21. Jahrhundert.

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Und auch, wenn die dokumentarische Wissenschaft Kategorien wie „erschreckend“ nicht kennt, dürfte den Autoren bei ihrer Arbeit das Lachen manches mal gefroren sein. Der Gegenstand ihrer Beobachtungen war nämlich noch weit absurder, bizarrer und schlüpfriger als die Recherche im Pornomilieu: Ihr neues Buch präsentiert die Welt der Youtube-Kommentare. Ein Binnenkosmos von Kurzprosa, zusammengekürzter, meinungsstarker Diskursraum und obskurer Plattheiten zwischen Fäkalausfällen und Nazivergleichen unter dem Deckmantel der Anonymität. Oder wie der geneigte Youtube-User es wohl sagen würde: ROFLMAO, ihr Noobs!

„Lolst du noch oder roflst du schon“ könnte man ohne weiteres als ein kleines, unterhaltsames Büchlein durchwinken. Denn das Milieu, in das die Autoren hinab gestiegen sind, wimmelt von absurd komischen, weil überheblichen und mitteilsamen Dummköpfen, die andere User zurechtweisen. Rechtschreibung und Grammatik haben hier unten keine Befugnisse mehr. Das sieht dann so aus: „Was ist das für ein phychiopat“, „scheiss gymnasier“, „jaja das opfa hat gestan kasiet“, „was für eine HOLE nuss“ oder „die hat wohl nur 1 iq“. Je stärker der Grad der Empörung, je größer die Überzeugung der User, auf der richtigen Seite zu stehen, desto größer ist der Lesespaß. In kleinen Dosen wohlgemerkt, denn die Schmerzgrenze ist spätestens dann erreicht, wenn man sich vom amüsierten Dauerkopfschütteln eine Nackenzerrung geholt hat.

„Lolst du noch oder roflst du schon“ ist eine Dokumentation des Grauens und dabei brüllend komisch. Dabei befriedigt sie eigentlich „nur“ die gleichen Instinkte, wie das Ansehen von Scripted Reality-Sendungen: „Die da unten und wir hier oben“ oder einfach „das kann doch nicht wahr sein“. Denn inhaltlich haben die allerwenigsten Kommentare so etwas wie Witz oder gar Geist zu bieten. Und deshalb soll das Buch auch mehr sein als der kleine komponierte Klamauk. Die Autoren haben den Titel um die Unterzeile „Die Feränderung der deutschen Sprache“ ergänzt und weisen im Vorwort halb ironisch, halb ernst darauf hin, dass ihre Arbeit „Pflichtlektüre für alle Germanistikstudenten und Deutschlehrer“ sei. Und damit haben sie natürlich – vollkommen unironisch – völlig Recht, denn die deutsche Sprache kennt nicht nur zwei Lautverschiebungen und eine jüngere Rechtschreibreform, sondern muss sich auch mit ihrer Pervertierung oder Mutation in Zeiten des Internets, von Smartphones und damit einhergehender Mikrokommunikation plagen.

Goethe wäre mit dieser Youtube-Ausgabe des Deutschen genauso unmöglich gewesen wie der Faschisten-Agitator Goebbels. Denn was reimt sich schon auf „geowned“ oder „Hässlon“ und wie will man einen Epic Fail wie den Zweiten Weltkrieg entfesseln und später rechtfertigen, wenn einem nur Vokabeln wie „Fratzenfasching“, „Daumenbettler“ und „Geilomatiko“ zur Verfügung stehen?

Scheler und Grebing haben deshalb nicht nur jedem der acht thematisch geordneten Kapitel eine kommentierende Einleitung voran gestellt, sondern auch ein Vorwort verfasst, durch das sich wohl nur die wenigsten der vorgestellten Anonymen Youtuber arbeiten dürften. „Lolst du noch oder roflst du schon“ ist aber natürlich Unterhaltung pur. So gemeint, so konzipiert und vor allem auch genau so in der Wirkung. Es ist aber allemal das Verdienst der Autoren, dass sie ihr Werk durchaus auch als Fleißbeitrag in den Diskurs rund um den aktuellen Zustand der Sprache der Dichter und Denker einbringen. Und wo die Frage nach „gutem“ und „schlechtem“ Deutsch ganze Essaybände füllt, sich deutschlandweit zig Lehrstühle mit dem Wandel der Schriftsprache auseinander setzen und kein Sarrazin mehr ohne den Verweis auf die Verrohung der Sitten und die Gefahr für das deutsche Bildungsbürgertum durch den Angriff von außen und unten auskommt, machen Scheler und Grebing auf 176 Seiten weiter das, was sie können: Beobachten, sortieren und den Rest einfach für sich stehen lassen. Das ist unheimlich unterhaltsam. Und gar nicht gefährlich. Und man kann es prima zweimal lesen. Einmal als Voyeur, einmal als Wissenschaftler. Nix mit „plamasche opfa“, „Lolst du noch oder roflst du schon“ kürzt die Frage nach Sinn des Sprachwandels auf Daumendicke ab: Es ist zu komisch, um darüber traurig zu sein. Aber bitte, bitte lasst sie nie raus aus diesem Youtube.

„Lolst du noch oder roflst du schon?“ erschien am 30.7. im Metronom Verlag.

Till Erdenberger

Paul Auster: „Sunset Park“

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Paul Auster hat nach seinem Meisterwerk „Unsichtbar“ einen neuen Roman veröffentlicht. Grund genug, dass sich wie vor „Unsichtbar“ viele Kritiker, Marcel Reich-Ranicki lässt grüßen, wieder auf ihn stürzen. Natürlich war es nicht die höchste englische Aristokratie von Herrn Auster, dass er in Interviews betonte die Geschichte als metaphorischen Ausdruck für den amerikanische Wirtschaftlage verstanden wissen zu wollen und diese noch dazu in nur fünf Monaten aufgeschrieben habe, aber und hier kommt das große ABER: Auster macht das, was ihn seit „Stadt aus Glas“ zum großen Paul Auster macht. Er erzählt tausende Geschichten in einer und am Ende klappt man den Buchdeckel zu (wie immer) im Glauben direkt dabei gewesen zu sein, diesmal in jenem leerstehenden Haus mitten in Brooklyn.

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Einige der besten Zeilen:

- Keine Pläne haben, soll heißen, nichts ersehenen und nichts erhoffen, mit seinem Los zufrieden sein, hinnehmen, was die Welt einem von einem Sonnenuntergang zum nächsten zuteilet.

- Er geht davon aus, dass die Zukunft hoffnungslos verloren ist, und wenn die Gegenwart alles ist, was jetzt zählt, dann muss es eine Gegenwart sein, die vom Geist der Vergangenheit durchdrungen ist.

- Sie will ihr Leben nicht abwürgen, bloß um ihr Leben zu überleben.

- Beide sind jetzt zweiundsechzig, und wenn sie auch bei guter Gesundheit sind, weder fett noch kahlköpfig noch reif für den Abdecker, so haben sie doch graues Haar und auch davon nicht mehr so viel wie früher, und beide sind an dem Punkt angelangt, wo Frauen unter dreißig, vielleicht sogar vierzig, nur noch durch sie hindurchsehen.

- Er nahm an, sie habe es vergessen. Vergessen ist keine Sünde – nur schlichtes menschliches Versagen.

- Beschädigte Seelen. Wandelnde Versehrte, die vor Publikum ihre Adern aufschneiden und bluten.

Auster bleibt sich selbst treu. Seine Kritiker leider auch. (Mal sehen was sie sagen, sollte er für „Unsichtbar“ am Ende noch vor Feuilleton-liebling Philip Roth den Nobelpreis bekommen.) „Sunset Park“ ist ein schöner, höchst atmosphärischer Auster-Roman.

Roman Libbertz

Liebe Freunde des BLANK Magazins,

wir haben in den letzten Wochen eine neue Ausgabe zusammen gezimmert, die ab sofort als E-Paper zum Anschauen bereit steht. Wir haben einen gewohnt bunten Themenmix zusammen gerührt und so stehen LINKIN PARK neben DER W, eine Assoziation über Sex neben einem Essay zum Thema Ultras und auch sonst viel Lesens- und Wissenswertes neben Themen, die wahrscheinlich noch niemand auf dem Schirm hatte. Und ja, wir bringen wieder jede Menge Material per Gewinnspiel unter unsere Leser. Ihr seht, mal reinschauen lohnt sich in jedem Fall. Wir würden uns freuen, wenn ihr das hier tun würdet.

Viele Grüße und gute Unterhaltung, Eure BLANK Redaktion.

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