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Jason Starr: „Brooklyn Brother“

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Die biografischen Angaben des Verlages weisen den Autoren Jason Starr als 1968 im ‘Stadtteil Brooklyn’ geboren und als in New York lebend aus. Wahrscheinlich lebt er aber schon lange nicht mehr in Brooklyn, denn was Starr in seinem neuen Roman „Brooklyn Brothers“ beschreibt entbehrt jeglicher Schmeichelei. Starr erzählt von einer vom Niedergang der letzten Jahre erschöpften und enttäuschten urbanen Unter- und Mittelschicht, die das Gefühl, es fast einmal geschafft zu haben, es zumindest mal schaffen zu können, schon längst nicht mehr kennt und sich in Familien-, Berufs- und Gangstreitigkeiten zermürbt.

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Starr skizziert Brooklyn als tristes Loch der Ausweglosigkeit, dem man nur entrinnen kann, wenn man rappt, mit Drogen dealt oder es als Profisportler in einer der großen Ligen schafft. Was dann folgt sind Geld, Frauen, teure Autos, Privilegien, Designerklamotten und Ruhm.

Starrs Protagonisten verkörpern diesen Traum, doch während der eine zum gefeierten Baseballstar avanciert, kämpft sich sein ehemaliger und weitaus talentierterer Little-League-Weggefährte und Jugendfreund als Anstreicher durch den harten Brooklyner Alltag. Seine Eifersucht bringt den Stein ins Rollen, der eine Geschichte anstößt, die von Armani über Glock und Crack und Crips bis Nas und Eminem, kein Klischee auslässt und in deren Mittelpunkt, what else, eine Frau steht, als Spielball und Mittel zum Zweck, aber auch Verkörperung des ‘kleinen Glückes’.

„Brooklyn Brothers“ spielt nicht mit Vorurteilen und Klischee, leider, dieser Roman bedient sie und wenn man ‘Jason Starr’ googelt (das Buch wartet ohne Autorenportrait auf) und feststellt, dass er nicht schwarz ist, überkommt einen das unweigerliche Gefühl, dass hier jemand Rache nimmt, an Brooklyn, an den Brothers. Und das, auch wenn dieser Roman unterhält und in seiner Einfachheit überzeugt, muss man nicht gut finden. Es gibt mehr zu erzählen als das. Wer das Buch als temporeiches Eifersuchtsdrama mit jeder Menge Mord und Drogen liest und sich gerne in zerrüttete Biografien einliest, wird mit „Brooklyn Brothers“ ein paar vergnügsame Stunden erleben.

Elmar Bracht

Arbeiterklassenethos und Revolutionsromantik

Man kennt das aus der eigenen musikalischen Sozialisation: Man lernt einen Song kennen, verliebt sich in ihn, schwört ihm ewige Treue und nach einer intensiven, aber in der Regel doch alles andere als ewigen Phase der gegenseitigen Wertschätzung, wird er nach und nach immer öfter im Shuffle-Mode übersprungen bis er irgendwann den Weg allen Irdischen geht und in der Versenkung verschwindet. Mein Song für die Ewigkeit heißt „Fields Of Athenry“, die Band Dropkick Murphys und unsere gemeinsame Phase der Wertschätzung nähert sich inzwischen trotz aller gegenteiligen Erfahrungen dem „Ewigkeits“-Status.

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Magisch… Überhaupt sind die Murphys um ihre Doppelspitze aus Sänger Ken Casey und Basser Al Barr mit einigen Stücken vertreten, die mal das eherne „irgendwann nervt alles“-Gesetz brechen können. Live ist die Folkpunk-Institution aus Boston sowieso legende, denn wenn der grundehrliche Arbeiterklassenethos, der sich als roter Faden durch die Bandgeschichte zieht, von mächtigen Dudelsackkaskaden in eine pogohungrige und feierwütige Menschenmenge gefeuert wird, spritzen Schweiß und Funken. Dass die US-Iren für ihr aktuelles Album „Going Out In Style“ nicht nur Platz 19 der deutschen Charts erobern, sondern sogar den „Boss“ persönlich zu einem Stelldichein bewegen konnten, zeigt sowohl den kommerziellen, als auch den künstlerisch-ideologischen Standard, den die Band inzwischen hat.

Anfang 2012 beehren die Murphys nun endlich mal wieder heimische Gefilde und spielen immerhin 5 Shows auf deutschem Boden. Wer einem anständigen, Guinness-geschwängerten Pogo nicht abgeneigt ist, wer die Revolutionsromantik liebt, die das traditionelle Liedgut der irischen Einwanderer transportiert oder schlicht und einfach einer verdammt hart arbeitenden Klasseband anschauen möchte, sollte einer dieser leider viel zu seltenen Gelegenheiten dringend wahrnehmen.

27.01.2012 – Hannover – AWD Hall
29.01.2012 – Berlin – Columbia Halle
30.01.2012 – Leipzig – Haus Auensee
01.02.2012 – Ludwigsburg – Arena
06.02.2012 – Düsseldorf – Mitsubishi Electric Halle

Tickets für die Shows gibt es u.a. auf www.eventim.de oder an allen CTS-Vorverkaufsstellen.

Till Erdenberger

Dropkick

Casper – Glaubwürdigkeit kein Thema

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Casper hat eine Geschichte zu erzählen. Seine eigene. Die hat auch mit dem Sprechgesang-Mutterland USA zu tun, in dem er aufwuchs. Doch Glaubwürdigkeit soll hier kein Thema sein. Sein eher schüchterner Look kollidiert auf schöne Art und Weise mit dem aufrüherischen Element seiner Texte, seiner schmutzigen Stimme und den Videos, wie z.B. in dem Song „Der Druck steigt”, eine schön geschnittene und doch provinzielle Widerstandsposse, die u.a. dafür sorgte, dass sein Album „XOXO“ als quasi Chartbreaker zu bezeichnen ist.

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BLANK-Fotografin Svenja Eckert hat Casper diesen Sommer fotografiert. In der Provinz. Beim Mini-Rock-Festival im schwäbischen Horb. Vielleicht genau der richtige Ort, ruhig und besinnlich und doch euphorisch und aufgeheizt. Doch casper funktioniert auch abseits urbaner Befindlichkeiten. Gut so. Nur das Wort ‘funktioniert’ gefällt mir in dem Zusammenhang nicht so. Aber das ist wahrscheinlich mehr mein Problem al seines.

Elmar Bracht

Video zu „Der Druck steigt“:

Viele Noten unterm Tisch

„Es ist nicht schwer, zu komponieren. Aber es ist fabelhaft schwer, die überflüssigen Noten unter den Tisch fallen zu lassen.“ (Johannes Brahms)

Weil just in den letzten Wochen so besonders viel im Brahms´schen Sinne gelungener Kram meinen Weg gekreuzt hat, will ich euch gerne mal ein paar der Platten vorstellen. Ein paar sind aktuell, ein paar haben mit einem kleinen Umweg den Weg wieder zu mir zurück gefunden. Aber alle haben das gewisse Etwas, das mir jetzt schon sagt, dass sie ordentlich abgehangen sind und den Test der Zeit bestehen werden oder es schon getan haben. Zugegeben, ein Innovationspreis wird sich mit dieser Zusammenstellung wohl nicht gewinnen lassen. Aber ich traue allen Vertretern dieses Ensembles zu, dass sie auch für den einen oder anderen von euch zu einem treuen Begleiter werden können. Los geht’s…

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Chuck Ragan – Feast Or Famine

Chuck Ragan ist in den letzten Jahren zu so etwas wie dem “großen, alten Mann” einer jungen US-amerikanischen Folkbewegung geworden. Auf inzwischen vier Alben arbeitet sich der Mann mit dem unglaublich physischen Gesangsstil nun schon an den Ideen, Standards, Geschichten und Emotionen einer lange – zumindest für europäische Ohren – verschüttet geglaubten musikalischen Tradition ab.

Ragan, der sich als Sänger der Indiepunk-Heroen Hot Water Music (deren Relevanz sich mir allerdings nie erschloss) Ikonenstatus erarbeitet hat, hat auf “Feast Or Famine” (von 2005) zwölf Nummern versammelt, die allesamt eines verbindet: Der Kopf dahinter hat etwas zu erzählen und lässt sich davon verdammt nochmal nicht abbringen. Allein “American Burritos”, “The Boat” oder “For Broken Ears” versammeln – vorgetragen von Hardest Working Man in Showbusiness zusammen mit zumeist nicht mehr als Kontrabassisten und Violinisten – mehr Emotionen und Vitalität als andere Bands in ihr komplettes Oeuvre zu packen imstande sind. Auch die beiden nachfolgenden Scheiben sollten dringend mal angetestet werden, an die Eindringlichkeit dieser Vorstellung kommen sie allerdings nicht ganz ran. Ausgelöst wurde der Chuck Ragan-Revivalimpuls übrigens durch die gerade zuende gegangene “Revival Tour”, für die der Sänger Kollegen im Zeichen des Folk versammelt hat, die allesamt ebenfalls dieser Tage erstklassige und überaus empfehlenswerte Soloalben an den Start gebracht haben. (Dave Hause – Resolutions, Brian Fallon als “The Horrible Crows” – Elsie und Dan Andriano – Hurricane Season).

www.chuckragan.com.

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Broilers – Santa Muerte

Nun gut, wenig kontrovers und man muss aufpassen, dass man sich nicht dem Vorwurf aussetzt, hier auf den fahrenden Zug aufzuspringen. Dennoch: Ich verlasse das sichere Nest des Liebhabertums und stelle diese Platte in den gebührenden (Klang-)Farben vor. Denn den Broilers gelingt mit “Santa Muerte” endgültig das, was sich schon auf dem Vorgänger “Vanitas” angedeutet hatte: Die erfolgreiche Kombination einer betonschweren, teerfarbenen Bodenständigkeit, exotisch- progressiv-frech daher kommender Instrumentaleinsätze und einer textlichen Ambitioniertheit, die mal mit kunstvoller Einfachheit komplexen Alltag beschreibt und dann auch wieder andersrum daher kommt. Dieses Werk ist nichts für musikalische und gesellschaftspolitische Analphabeten, sondern für eine intellektuell ambitionierte, am politischen und sozialen Diskurs interessierte Zuhörerschaft. Aber wisst ihr was? Schluss mit dem Geschwurbel. Denn “Santa Muerte” ist eine Platte, die von vorne bis hinten mit ganz wenigen Ausnahmen viel Spaß macht. Und auch wenn sie manchmal etwas verkopft daher kommen mag, so ist dieser Gedanke nie Selbstzweck, sondern zwingt den Zuhörer, sich nicht nur mit der Form, sondern auch dem Inhalt der Songs auseinander zu setzen. Denn zwischen Bläsersätzen, die hier so geschmackvoll arrangiert und effektiv wie noch nie zuvor in der Broilers-Laufbahn, lauert hinter jeder Ecke Botschaft und Aufforderung zu irgendwas. Vorsicht, diese Platte ist durch und durch politisch – und zwar, weil alles politisch ist. Außer vielleicht der schieren musikalischen Freude und Fülle an auditiven Gedanken, die auf “Santa Muerte” verarbeitet sind. Anspieltipps: “Weckt die Toten”, “In ein paar Jahren”, “The World Is Yours (Nicht)”, “Tanzt du noch einmal mit mir”.

www.broilers.de.

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The Kordz –Beauty And The East

Mit dieser und der nächsten Scheibe wird es ein bisschen exotischer und ich wette, mindestens eine der beiden Bands wird bei euch nur Fragezeichen produzieren. Und weil das so schade ist, will ich euch beide vorstellen. Los geht es mit den Kordz und die räumen in Sachen Exotenbonus voll ab, auch wenn sie den eigentlich weder wollen noch brauchen. Die Band um Sänger und Mastermind Moe Hamzeh kommt aus dem Libanon und wenn sich das große Raunen unter den Rockfreunden gelegt hat, bleibt in der Regel eine große Neugier zurück. So war es auch bei mir, als ich meine Finger an diese Platte bekommen habe. Und man bekommt eigentlich genau das, was man erwartet – zumindest musikalisch: Eine Band, die handwerklich über alle Zweifel erhaben agiert und darüber hinaus selbstbewusst und mit großer Finesse immer wieder völlig klischeebefreit und gut dosiert das kulturelle Erbe ihrer Heimat zitiert. Ansonsten ist “Beauty And The East” eine Platte, deren Titel das selbstironischste Element ist. Denn inhaltlich wird hier durchaus schwere Kost geboten, auch wenn es wider Erwarten eher unpolitisch zugeht. Dass Sänger und Texter Moe kein luftiger Springinsfeld ist, trieft aus jeder Zeile der Texte, die sich häufig mit den ganz großen Fragen (“The End”) beschäftigen. The Kordz liefern hier ein lebendig-melancholisches Album ab, das gerade für mitteleuropäische Ohren unheimlich viel unheimlich unaufdringlich zu Entdecken bereit hält. Und am Ende des Tages vor allem eines ist: Ein verdammt gutes Stück Rockmusik!

www.thekordz.com.

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Carpark North – Lost/ All Things To All People

Meine dänische Zweitlieblingsband – noch deutlich vor Volbeat – hört auf den Namen Carpark North und ist vielleicht dem einen oder anderen hier schon ein Begriff. Das Trio spielt elektronisch beeinflussten, stets etwas poppigen Rock und ist gerade in der Heimat schon weit mehr als ein Geheimtipp – bei uns lassen sich die Herren jedoch eher selten blicken und auch ihr Album “Lost” ist, zumindest so weit ich das mitbekommen habe, ziemlich unter Wert gelaufen. Dabei ist “Lost” so etwas wie eine Art Best Of der frühen Jahre, denn hier sind nicht nur feine Ohrenschmeichler wie das saustarke “More” und das beinahe an Kraftwerk gemahnende “Shall We Be Grateful” versammelt, sondern auch mit “The Beasts”, “Transparent And Glasslike” und “Human” die drei stärksten Hits ihres Dänemark-Debüts “All Things To All People”, das hierzulande nicht erschienen ist und nur per Import zu kriegen war. Und möglicherweise liegt genau hier die Krux (und der Grund, warum oben zwei Alben stehen): Denn die drei letztgenannten Nummern wurden für das deutlich für eine kommerziellere Zielgruppe produzierte “Lost” auf Linie gebracht und so ihrer Ecken und Kanten beraubt. Nicht falsch verstehen, starke Songs bleiben starke Songs. Aber wenn man die Originale und ihre sperrige Intensität kennt, dann fehlt hier deutlich was. Deshalb empfehle ich – wenn die Chance besteht – doch den Griff zum “Original”. Denn hier kracht, knallt und fließt es noch einen ganzen Zacken energischer als auf “Lost”. Zieht euch mal auf Youtube “The Beasts” und “Transparent And Glasslike” in den Liveversionen rein und es werden wohl keine Fragen offen bleiben.

www.carparknorth.dk.

Till Erdenberger

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Mit Dänen ist immer zu rechnen

Als im November 1991 ihr Album „Riskin´ It All“ auf den Markt kommt, stehen D-A-D auf dem Zenit ihrer Popularität und unmittelbar vor dem weltweiten Durchbruch. Der Branchenriese Warner hatte den Dänen den bis dato bestdotierten Vertrag vorgelegt, den je eine Band dieser Größe unterschrieben hatte. Die Fachpresse wählte das Album auch folgerichtig auf Platz 1 ihrer Soundchecks.

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Heute, beinahe auf den Tag genau 20 Jahre nach „Riskin´ It All“ und zahlreiche kreative Höhen und manche geschäftliche Tiefen später, stehen die Dänen wieder auf dem Treppchen der Fachmagazine. Und zwar mit einem brandneuen Album, das wohl so etwas wie die perfekte Symbiose aus dem vielbeschworenen und von Fans wohl beinahe aller Künstler immer wieder gewünschten „Old School“-Faktors und dem bandtypischen Willen zur stetigen Selbsterneuerung geworden ist. DIC.NII.LAN.DAFT.ERD.ARK heißt die Platte und erntet bei denen, die sie schon vor dem offiziellen Release am 11.11. hören durften Begeisterung. GUITAR spricht von einem „Sack voller Topliga-Hooks, die allesamt auf diesem Niveau keine andere Band in Europa schreiben kann“, das ROCKS sagt, dass „D-A-D lange nicht stärker und besser gerockt hätten“ und das RockHard sieht in den zwölf Stücken „einen echten Befreiungsschlag, sprich die Rückkehr zu früheren Großtaten“. Puh… Da kann und will man nicht widersprechen. Sänger Jesper Binzer beschreibt diese „Rückkehr“ bildreich: „Auf DIC.NII.LAN.DAFT.ERD.ARK haben wir alle Häutchen von der Zwiebel gezogen und den Kern freigelegt. Wir waren während wir die Songs geschrieben haben ständig auf Tour. Vielleicht hat uns das den Glauben an und die Lust auf einfachen, aber geschmackvollen Rock´n´Roll zurück gegeben hat.“

Entstanden ist das Album zwischen November 2010 und Oktober 2011 in mehreren Sessions in Frankfurt (im studio23) und in Kopenhagen, der Heimatstadt der Band. „Leider beeinflusst das Reisen unseren Blick auf uns und unsere Arbeit nicht mehr. Es hat uns aber sehr geholfen, uns in Frankfurt, in einer neuen Umgebung also, völlig auf die Songs und die Arbeit konzentrieren zu können, ganz ohne mit dem Alltag daheim konfrontiert zu sein. Außerdem ist das Essen in Frankfurt viel besser“, erklärt der Frontmann schmunzeln zum „Warum Frankfurt?“. Und während man an letzterem grundsätzlich Zweifel anmelden darf, kann man die erste Aussage bedenkenlos stehen lassen. Denn die neuen Songs klingen gleichermaßen durchdacht wie gut abgehangen. „I Want What She´s Got“, „Breaking Them Heart By Heart“ und „Fast On Wheels“ gehen direkt beim ersten Hören ins Ohr, „We All Fall Down“ ist mit seinem wunderschönen Outro eine neue Referenz für die leidenschaftliche Gitarrenballade und die restlichen Nummern reihen sich unter dem Label „Das Beste aus allen Welten“ in diesen Reigen ein. Und weil es immer so blöd ist, das eigene Produkt abzufeiern, lassen wir hier einfach nochmal die Kollegen von der Fachpresse ran: „ Auf „The Last Time In Neverland“ haben die konservativsten Anhänger der Dänen zwei Dekaden warten müssen: Schubkraft, Riff und Lässigkeit waren lange nicht mehr so fest im Hardrock verankert.“ Und wenn die das sagen, können wir uns ja eigentlich entspannt zurück lehnen und die Musik das Gespräch führen lassen.

Wie fokussiert und überzeugt die Musiker von ihrem Material schon seit einem frühen Zeitpunkt waren, zeigt die Tatsache, dass man sich früh auf eine kleine Anzahl an Stücken

entschieden hat, die dann sukzessive weiter ausgearbeitet wurden. Eigentlich eine untypische Arbeitsweise, wählte man für den Vorgänger „Monster Philosophy“ noch aus rund 40 verschiedenen Songs aus.

Heraus gekommen ist nun im November 2011 schließlich ein Album, das Gitarrist Jacob Binzer dazu verleitet, ihm das Prädikat „unser wahrscheinlich bestes seit langem“ verleiht. Leider eine (zu) oft gehörte Phrase, im Falle der stets selbstkritischen D-A-D aber ein ernst zu nehmender Hinweis darauf, dass das Album zumindest in der Bandhistorie schon jetzt tatsächlich einen Ehrenplatz einnimmt. Nochmal Jesper Binzer: „Wir haben uns für DIC.NII.LAN.DAFT.ERD.ARK sehr früh auf etwa 14 Ideen festgelegt und an diesen Songs immer und immer wieder sehr hart gearbeitet. Und ich denke, dass diese Art, Dinge immer wieder neu anzugehen, ein guter Weg ist, lebendig und kreativ zu bleiben.“ Nach 20 Jahren immernoch den Geschmack von Fans und Fachpresse zu treffen, ohne sich dabei ständig selbst zu zitieren, spricht für diese These. „DIC.NII.LAN.DAFT.ERD.ARK“ ist eine Belohnung für alle Rockfans, für alle Freunde von tonnenschweren aber stets lebendigen Riffs und … eigentlich doch alle, die sich und ihren Ohren selbst was Gutes tun möchten. Und das sagen noch nicht mal wir…

Das Album ist bereits online vorbestellbar (z.B. bei EMP im Paket mit einem exklusiven T-Shirt oder bei Amazon mit einem signierten Miniposter) oder ab dem 11.11. beim Händler eures Vertrauens erhältlich.

D-A-D – DIC.NII.LAN.DAFT.ERD.ARK

Releasetermin: 11.11.2011

Im Februar könnt ihr euch von den legendären Livequalitäten der Dänen überzeugen. Denn dann sind sie ausgiebig in Deutschland unterwegs und ihr könnt sie euch hier anschauen:

ICS Festival Service GmbH presents: Fast On Wheels 2012

05/02/2012 – Frankfurt, Batschkapp
06/02/2012 – Nürnberg, Hirsch
07/02/2012 – Stuttgart, Roehre
08/02/2012 – Berlin, Postbahnhof
09/02/2012 – Osnabrück, Lagerhalle
10/02/2012 – Hannover, Musikzentrum
11/02/2012 – Bochum, Zeche
12/02/2012 – Köln, Luxor
16/02/2012 – München, Backstage
17/02/2012 – Schweinfurt, Stattbahnhof
27/02/2012 – Saarbrücken, Garage
03/03/2012 – Hamburg, Markthalle

Tickets gibt es für rund 22 Euro auf www.metaltix.com oder unter 04627 – 18 38 38.

Till Wilhelm

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Geradeaus im Kreis – Der neue Roman
von BLANK-Autor Boris Guschlbauer

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Boris Guschlbauer ist ein Reisender. Blank-Leser kennen ihn aus vielen Reportagen, von Indien über Istanbul bis zu den Pyramiden, Polen und die Ostsee. Wie sein literarisches Debut „Crashkurs Paris“ (Lautsprecherverlag, 2001), ist auch sein neuestes Werk wieder die Versuch eine Reise zu be- und umschreiben. Aber natürlich ist es viel mehr als das. Nachfolgend gibt es die ersten Kapitel aus “Geradeaus im Kreis”, dieer Tage erschienen im Jay Kay und Fred Verlag. Alle Infos zu Boris Guschlbauer, seinem neuen Buch, Lesungen etc. finden sich unter www.ichwilleineriesenbockwurstmitsenfundzwarsofort.de.

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Leseprobe:

„Indische Busse sind Zeitbomben auf Rädern. In Deutschland wären diese Busse vor Jahrzehnten schon von Mitarbeitern des TÜV aus dem Straßenverkehr entfernt worden, aber nicht hier. Alles, was halbwegs rollte, wurde verzweifelt am Leben erhalten. Die Busfahrer standen dabei ihrem fahrbaren Untersatz in nichts nach. Sie alle waren durchweg selbstmordgefährdete Irre mit absolutem Hang zur Raserei und ohne Verantwortungsgefühl für nichts und niemanden. Auf ihrem Weg in die Verdammnis überholten sie ohne Rücksicht auf Verluste reihenweise die etwas langsameren Verkehrsteilnehmer. Dabei bedienten sie sich eher der Hupe als des Lenkrades. Ich fragte mich, ob die Hupen permanent Töne von sich gaben und man erst, um sie zu stoppen auf den Knopf drücken musste. Unser Busfahrer hinterließ ein endloses akustisches Diiiiiiieeeeeep in der Landschaft. Die marode Fahrbahn erinnerte mit ihren vielen Schlaglöchern an Emmentaler Käse. Oft ging der brüchige Asphalt unsanft in Lehm über, dann wieder eine ungesicherte Baustelle mittig auf der Straße. Doch die Busfahrer ließen sich davon nicht beirren, die Geschwindigkeit wurde keinesfalls gedrosselt, sie setzten zum Überholvorgang an, obwohl ein riesiger LKW auf der Gegenfahrbahn mit ohrenbetäubender Hupe und wildem Auf- und Abblenden des Lichts erschreckend schnell entgegen brauste. Aber ein Abbruch des Manövers war nicht üblich, die hinduistischen Götter würden uns schon helfen, und wenn nicht, dann gingen wir eben alle drauf und unsere Leichen würden auf einem Scheiterhaufen verbrannt und die Asche dem Ganges übergeben.

Zwei Hupen im Wettstreit, eine brüllte wütender als die andere, dann verschmolzen die Töne zu einem Soundtrack der Zerstörung. Ich hörte schon das üble Geräusch von zwei frontal aufeinander prellende Karosserien, von splitterndem Glas, brechenden Knochen und dem finalen Gurgeln der Lunge, aber im allerletzten Augenblick zog der Busfahrer auf die linke Fahrbahnseite und der LKW sauste nur Millimeter an uns vorbei.

Das war normaler Straßenverkehr. Keinen Passagier schien dieser waghalsige Überholvorgang aus der Reserve zu locken.

Nach weiteren todesmutigen Fahrten auf der falschen Straßenseite erreichten wir unversehrt Rishikesh. Ich hätte es nicht für möglich gehalten.“

John Niven: „Gott bewahre“

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Alter, ist Gott angepisst … Da ist der gute Mann mal eine himmlische Woche (etwa 450 Erdenjahre) angeln und schon geht auf der Erde alles fürn Arsch. Jesus hat es wirklich etwas schleifen lassen. Denn der ist zwar gutmütig bis ins Mark, aber auch von einer so verkifften Entspanntheit, dass ihm Waldsterben, Homophobie und eine völlige Pervertierung der Lehre seines Vaters auf Erden einfach mal so durchgerutscht sind. Dabei hatte sein Vater dereinst eigentlich nur ein SEID LIEB! gen Berg Sinai gesendet.

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Entsprechend düster und dramatisch fällt die Bestandsaufnahme aus, nachdem Er seinen ersten Tag im Büro hinter sich gebracht hat. Meeting jagt Meeting und zu guter Letzt muss sich Gott auch noch mit dem Teufel, der eigentlich ein ganz dufter Typ ist, besprechen und ihn nach seinem Geheimnis fragen. Denn der schreibt seit vielen Jahren tiefschwarze Zahlen, weil er seine Räumlichkeiten an immer mehr katholische Geistliche loswerden kann. Und so muss Jesus, der eigentlich lieber den ganzen Tag mit Hendrix Riffs austauscht, wieder mal nach unten, um die Sache gerade zu biegen. Und zwar in Gestalt eines erfolglosen, aber überaus charismatischen und talentierten Musikers im New York unserer Tage. Doch das Geschäft ist hartes Brot und JC kriegt einfach kein Podium, um das väterliche Gebot loszuwerden. Was liegt daher näher, als einen Roadtrip gen L.A. anzutreten, um dort an einer landesweit ausgestrahlten Castingshow teilzunehmen? Was bleibt einem heutzutage auch anderes übrig…

John Niven schafft es mit „Gott bewahre“, sich mal so richtig in die Nesseln zu setzen. Zumindest bei den Amis. Denn er beschreibt nicht nur die völlig korrumpierte Unterhaltungsindustrie (wir erinnern uns an „Kill Your Friends“), sondern vor allem eine durch und durch fehlgeleitete US-Kirche in all ihren Splittergruppen. Und er tut dies so brilliant, dass man ständig brüllen möchte „ALTER, DAS IST JESUS PERSÖNLICH!“ „Gott bewahre“ ist schmerzhaft, bizarr, traumatisch, unglaublich komisch und dabei so hintersinnig, dass es auf dem Weg ist, das Buch des Jahres auf dem Unterhaltungssektor zu werden. Niven lässt seine Figuren so herrlich ungezügelt, dabei aber so gestochen scharf gezeichnet von der Leine, dass man ständig zwischen “Ne, das kann er jetzt nicht machen” und „Ich glaub, er macht das wirklich…“ oszilliert. Das Buch ist so voller Wendungen, toller Figuren, Zitate, Querverweise und guter Ideen, dass man sich nur fragt: Warum nochmal hat es so lange gedauert, bis mal jemand eine solche Geschichte aufgeschrieben hat? Antwort: Weil John Niven vorher keine Zeit hatte!

Auszug:

„Nun ja, laut einiger ziemlich stichhaltiger Erhebungen liegt die Zahl der Amerikaner, die an den Kreationismus glauben, bei vierzig bis fünfundvierzig Prozent der Bevölkerung“, sagte Matthäus.

Gott hört auf zu lachen. „Was?“, fragt Er, jetzt sehr leise.

„Ja“, sagt Matthäus. „Sie lehren es sogar in den Schulen.“

„Sie bringen diese Scheiße“, sagt Gott langsam und beißt sich dabei auf die Unterlipe, „ihren Kindern bei?“

„Ähm, ja.“

„WILLST DU MICH VERARSCHEN?“

Gott schlägt alles kurz und klein. Akten fliegen durch die Luft, ein schwerer Aschenbecher zerschmettert an der Wand, eine Kaffeetasse fliegt hinterher, ein Stuhl geht entzwei. Alle starren in ihre Unterlagen, warten darauf, dass der Ausbruch vorübergeht. Schnaufend nimmt Gott schließlich wieder Platz und blättert durch Seine Aufzeichnungen. „Aber was“, fragt Er schließlich, „ist mit diesem Jungen, Darwin? Er hat doch eigentlich alles kapiert.“

„Aye“, sagt Andreas. „Sie nennen ihn einen Teufel.“

„Sind diese Leute eigentlich wirklich allesamt Geisteskranke?“

„Hat ganz den Anschein, Herr.“

„Ich meine“, Gott nimmt einen Joint aus dem Aschenbecher und hält ihn in die Höhe, „rauchen die nicht genug Gras?“

Till Erdenberger

Philipp Lahm: „Der feine Unterschied“

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Ach herrjeh, was gab es nicht für eine Aufregung um dieses Buch, ohne dass jemand mehr als die dem Boulevard zugesteckten Auszüge gelesen hatte. Die alten Beißreflexe sind noch intakt, wenn sich die vermeintlichen Granden der Branche vorgeführt vorkommen. Und Lahm nennt in seinem „Der feine Unterschied“ ein paar Namen und ordnet ihnen ein paar unschöne Eigenschaften zu. Oho… Die Opfer sind allerdings längst emeritiert (Völler), weit weg (Klinsmann) oder eh to big to fail (van Gaal).

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Dabei war es sicher keine große Neuigkeit, dass Verlegenheitsbundestrainer Rudi Völler kaum in die Kaste der Taktikfüchse einzuordnen ist. 2002 rettete sich die Nationalelf dank eines überragenden Michael Ballack mit Minimalistenfußball, einer kaum zu begreifenden Duselauslosung und einiger wohlwollender Schiedsrichterentscheidungen bis ins WM-Endspiel. Zwei Jahre darauf versenkte sich das schon nicht mehr fahrende Schiff bei der desaströsen EM selbst. Völler inszenierte sich als Märtyrer und bleibt allein deswegen im kollektiven Gedächtnis der heimischen Fußballfreunde als Heilsfigur und eben der eine Rudi Völler verhaftet. Lahm schreibt wenig anderes und dennoch gibt es einen Aufschrei der Empörung im Boulevard.

Was also will Lahm mit diesem Buch erreichen, das irgendwo zwischen zaghafter Abrechnung, Autobiographie und Ratgeber Kicken osziliert? Es gibt zwei Ansätze:

1. Profil schärfen

Lahm will sich ein Profil verpassen. Das desjenigen, der zwar den Mahner gibt, das aber mit einer Stromlinienförmigkeit tut, die einer heutigen Generation Fußballer so schlecht steht. Philipp Lahm ist mit Sicherheit ein cleverer, möglicherweise auch unter der durchchoreographierten Schale ein netter Junge, der weiß, was er will und was dafür von Nöten ist. Machtmensch, Karrierist und ganz sicher begnadeter Kicker. So kommt die mittlerweile obligatorische Stiftung als eigenes Kapitel daher, der schon früh in der Bayern-Jugend implementierte unbedingte Siegeswille ebenso. Einige andere Primär- und Sekundärtugenden werden mit langer Herleitung vorgestellt und auf den netten Herrn Lahm transferiert. Als Nationalelfkapitän muss er den Platzhirsch geben und den Finger in Wunden legen, die es im heutigen Bundesligaalltag so gar nicht mehr gibt. Figuren sind austauschbar, wer aus der Reihe tanzt, dem wird mächtig in die Parade gefahren. Will Lahm sich mit seinem Rundumschlag, für den er sich doch eigentlich gar nicht entschuldigen muss, als Choreograph bewerben? Vorstellbar. Einsnull für die eigene PR-Abteilung.

2. Ich bin nicht schwul!

Oder aber es ist ganz anders und die ersten 235 sind eine unterhaltsame, voyeuristische Ouvertuere für das letzte Kapitel: Ich bin nicht schwul. Denn dort wird es so grotesk, dass man zum ersten Mal richtig ins Kopfschütteln kommt. Dort erklärt Philipp Lahm, dass er nicht schwul sei. Was ja eigentlich gar nicht schlimm sei, im Gegenteil, schwul sein ist ja vollkommen okay. Aber er halt nicht. Scheinbar gibt es Gerüchte um ihn und Lahm versucht sie mit einer solch verkrampften Verve, sie auszuräumen und die Quelle zu erklären, dass man gar nicht umhin kommt, sich zu fragen, warum diese Charade? Möglicherweise ist dieses Kapitel für Lahm das wichtigste, in jedem Falle ist es das unterhaltsamste und aufrichtigste des ganzen Buches. Denn es spiegelt die ganze Verkrampfung wider, die in der Szene nach wie vor zum Thema „Homosexualität“ vorherrscht. Rund um jeden halbwegs prominenten Kicker gibt es wohl 200 verschiedene Gerüchte. Der eine vermöbelt regelmäßig seine Frau, einer hat mindestens zwei uneheliche Kinder, der nächste ist vier Jahre älter, als in seinem Ausweis steht usw… Dass aber der Kapitän der Nationalelf ausgerechnet dem “Vorwurf”, homosexuell zu sein, derart massiv entgegen treten muss, dass er dafür extra eine Biographie zu schreiben hat, ist traurig und lässt zu tief blicken. Dass Lahm sich darauf einlässt zeigt die ganze Tragik der Diskussion.

Fazit: Warum sollte man dieses Buch lesen? Um sich in den Diskurs zum Thema stürzen zu können und Position zu beziehen. Pro Lahm? Contra Lahm? Darauf kommt es am Ende nicht an, denn eigentlich stehen in „Der feine Unterschied“ keine Meinungen, sondern doch recht objektive Wahrheiten. Wenn in einem Millionenbusiness wie dem Profifußball einer mit der „Ja, aber dass darf er doch nicht sagen“-Karte kommt, dann kann man dafür höchstens ein müdes Lächeln respektive eine verbale Blutgrätsche übrig haben. Lesbar ist das Buch allein seiner Kurzweiligkeit und des gelungenen Namedroppings wegen. Wie man heute Spitzenfußballer wird, wie der Untertietl suggeriert, erfährt man allerdings nicht. Möglicherweise gibt es dafür noch nicht mal eine Anleitung. Also: Lesen Sie es, wenn Sie mögen, es wird Ihnen nicht weh tun. Der hier und da gebräuchliche Duktus, wird Sie an alte Werke von Fußballphilosophen wie Fritz Walter und Uwe Seeler erinnern, wenn Lahms Ghostwriter in hoher Frequenz von „Kameraden“ spricht und dieses alte “11 Freunde” und “Gras fressen”-Vokabular beschwört. Lesen Sie es oder lassen Sie es. In zwei Jahren spricht eh niemand mehr davon.

Nachtrag: Das Beste an diesem Werk ist, dass er den feinen Verlag Antje Kunstmann, der üblicherweise ein ebenso feines Programm anbietet, derartig auf Jahre saniert haben dürfte, dass man sich auch nach der kommenden EM noch auf interessantere und relevantere Werke wird freuen dürfen.

Till Erdenberger

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