Fritz Kalkbrenner ist ein Wanderer zwischen den Welten. Oder nein, er ist vielmehr ein Mittler. Mit beiden Beinen knietief im Schweiß der traditionellen Clubszene stehend, streckt er die Arme aus, um sich festzukrallen an dem, was so oft missverständlich Mainstream genannt wird.
Gemeint ist die Symbiose aus trockenen Clubbeats und organischen, bisweilen hymnischen Melodieparts. „In House gegossene Popmusik“ nennt das die Presseinfo und beschreibt das Werk des Berliners damit passend. Es ist fast ein bisschen grotesk: Denn mehr noch als Bruder Paul, der inzwischen jährlich in Berlin und dem Rest Deutschlands riesige Massenveranstaltungen zelebriert, steht Kalkbrenner der Jüngere für das massenkombatible Moment des Techno, ohne sich in die Gefilde des Trance zu verlaufen. Und womit der Berliner auf seinem gefeierten 2010er-Debüt „Here Today Gone Tomorrow“ begonnen hat, das führt er zwei Jahre später konsequent und noch ambitionierter fort: Fritz Kalkbrenner ist weiterhin der große Lyriker unter den Elektroproduzenten. Denn während die Kollegen aus dem kommerziellen Bereich Gesang höchstens als Klangfarbe, als weiteres Instrument einsetzen, geht es Kalkbrenner um weit mehr als das: Die Worte als eigenständigen Teil seiner Kunst. Ambitioniert und künstlerisch wertvoll. Im Folgenden über die Musik, die Wurzeln und was eigentlich wem gehört und wohin.
BLANK: Techno und Gesang – auf diesem Feld bist du Pionier, stehst ja fast alleine da. Glaubst du, die Technofreunde würden sich mehr Lyrics wünschen?
FK: Offen gesagt: Ich weiß es nicht. Bei mir war das Texten und Singen neben dem Produzieren immer ein integraler Bestandteil meiner Arbeit und ich habe nie davon gelassen.
BLANK: Und denkst du, dass da überhaupt etwas hängen bleibt?
FK: Auch hier: Ich weiß es nicht. Ich kriege aber oft gutes Feedback zu den Inhalten der Lyrics und darüber freue ich mich. Ich kann aber auch verstehen, wenn das einfach an den Hörern vorbei geht, weil die sich auf den physischen Aspekt der Musik konzentrieren wollen.
Ich könnte also einem übergroßen Fokus auf die Lyrics gar nicht gerecht werden.
BLANK: Wünschst du dir nicht manchmal beim Texten, Liedermacher zu sein? Der weiß, dass die Leute jedes einzelne geschriebene Wort aufsaugen und auswerten?
FK: Nein, absolut nicht. Denn dafür müsste ich eine ganz wichtige Komponente der Kunst vernachlässigen müssen: Das Produzieren. Ich könnte also einem übergroßen Fokus auf die Lyrics gar nicht gerecht werden, da ich ja zwischen den Stühlen stehe und beides bedienen muss und möchte. Dass man dann hier und da auch Abstriche machen muss, lässt sich nicht vermeiden. Das ist aber auch okay.
BLANK: Du bist einer der wenigen ganz großen Namen, die nicht auf eine beeindruckende Liste an Remixen blicken können. Warum?
FK: Ich habe nicht nur keine beeindruckende Liste an Remixen, sondern habe überhaupt noch keinen gemacht. Dass das so ist, hat sich über die Zeit entwickelt. Denn zuerst gab es einfach keine Anfragen und dann gab es auf einmal sehr viele. Irgendwo auf diesem Weg habe ich mich dazu entschlossen, nicht ohne weiteres Remixanfragen anzunehmen. Irgendwann hat sich diese Ablehnung verselbstständigt und die Latte, wer da kommen müsste, wurde ständig höher gelegt.
BLANK: Wer müsste denn nun kommen?
FK: Ich würde mich gerne an Motown-Einzelspuren wagen und mich über die her machen. Das ist aber auch wirklich schon ganz schön weit hergeholt. Um ehrlich zu sein: Dieser Gedanke des Remixens spielt bei mir einfach keine besonders große Rolle in der täglichen Arbeit. Das Selberproduzieren ist mir wichtiger. Aber wie gesagt: Wenn Motown kämen und mir ein paar Einzelspuren anbieten würden, dann würde ich wahrscheinlich nicht „Nein“ sagen.
BLANK: Gibt es Unterschiede bei deinen Sets weltweit? Lieben die Australier eine andere Dramaturgie als die Südamerikaner?
FK: Die Livesets hängen vor allem von meiner Befindlichkeit und meiner Tagesform ab. Dass die Dramaturgie sich nach dem Kontinent, der Stadt oder der Location richtet ist zumindest bei mir nicht so. Ich weiß allerdings nicht, ob das für oder gegen irgendetwas spricht, dass die Menschen auf der ganzen Welt gleich feiern.
BLANK: Wo siehst du den Techno denn überhaupt zuhause? In den Clubs, wo er her kommt oder doch auf den großen Open-Air-Veranstaltungen? Und warum?
FK: Eine Frage, über die sich die Traditionalisten und die besonders der Zukunft Zugewandten fröhlich die Köpfe einschlagen könnten. Natürlich kommt der Techno historisch betrachtet aus den Clubs, aber die Frage, wo er hingehört greift zu kurz. Man sollte aber doch weder das eine noch das andere kritisieren, sondern sich stattdessen lieber freuen, dass man die Chance hat, beides zu genießen. Es gibt ja auch durchaus grundlegende Unterschiede, denn während die Festivalsets auf die kurzfristigere Wahrnehmung setzen, haben die Sets in den Clubs einen längeren Spannungsbogen. Freuen wir uns unter dem Strich einfach, dass es sowohl die intime, als auch die großflächige Wahrnehmung gibt.
Es gab das ja auch schon, dass elektronische Künstler nach ihrer künstlerischen Wiedergeburt dann auf einmal mit einer Band auf der Bühne standen.
BLANK: Auf deinem neuen Album stehen wieder einige organische, analoge Instrumentenparts. Wie weit ist der Gedanke gediehen, mal mit Band ein Liveset zu spielen?
FK: Den Gedanken gibt es, er ist allerdings noch nicht sehr stark ausgeprägt. Ich überlege aber, auf der Tour zu „Sick Travelin´“ Livegesang in meine Liveshow einzubinden. Alles mit einer Band live umzusetzen halte ich aber nicht für den richtigen Weg bei mir. Das wäre eine zu starke Abkehr vom originären Gedanken der Clubmusik wäre, dem ich ja auch verbunden bin. Es gab das ja auch schon, dass elektronische Künstler nach ihrer künstlerischen Wiedergeburt dann auf einmal mit einer Band auf der Bühne standen. Das würde mir persönlich jetzt einen Schritt zu weit gehen. Ich möchte aber auch nicht kategorisch ausschließen, dass es so etwas auch bei mir mal geben könnte. Aber auf alle Fälle nicht so bald.
BLANK: Wie bist du denn überhaupt in die Elektroszene rein gekommen und fühlst du dich da zu 100% richtig aufgehoben?
FK: In die so genannte Szene bin ich auf eine ganz natürliche Art rein gekommen: Durch Freunde und natürlich meinen Bruder schon vor vielen, vielen Jahren. Die Liebe zur Clubmusik, sei es nun House oder Techno, war immer gleichberechtigt mit der zu Soul und Hip-Hop. Es war immer mehr sozusagen eine konzeptionelle Frage, wo die Musik am besten stattfinden kann. In meinem Fall ist die „Szene“ ein großer Zirkel von Freunden und Kollegen, die alle etwas ähnliches machen, wie ich. Und da ist mir oft aufgefallen, dass die sich in ihrer Wahrnehmung älteren Sachen gegenüber gar nicht so sehr davon unterscheiden, wie ich mich positioniere.
BLANK: Liest man Interviews mit dir, fallen als Einfluss oder „Helden“ deutlich öfter die Namen von Soul oder Hip Hop-Größen als die von Elektrohausnummern.
FK: Es ist gar nicht so außergewöhnlich, Elektroproduzent zu sein und sich daheim den lieben, langen Tag Hip-Hop- und Soulplatten rein zu pfeifen.
BLANK: In einem älteren Interview sagtest du, dass du die Deutungshoheit über deine Kunst verlierst in dem Moment in dem du sie veröffentlichst. Bereitet dir das nicht Bauchschmerzen? Gerade in dem Bereich, in dem es um deine Texte geht.
FK: Mit dem Verlust der Deutungshoheit gehen mir auch alle Ängste und Sorgen, wie mit meiner Musik und den Lyrics umgegangen wird, ab. Wenn ich mir Sorgen machen würde, dass die Wahrnehmung der Inhalte in einer Art und Weise stattfindet, die mir nicht gefällt, müsste ich mich entscheiden, die Sachen gar nicht erst zu veröffentlichen. Ein Künstler, der es nicht ertragen kann, dass seine Sachen auch kritisch besprochen und konsumiert werden, darf sie nicht veröffentlichen. So einfach ist das.
Davon, dass Fritz Kalkbrenner sich gottlob anders entschieden hat, kann man sich ab dem 19. Oktober überzeugen. Dann steht „Sick Travellin‘“ bereit, um unter die Lupe genommen und gedreht und gewendet zu werden. Und eigentlich muss sich der Friedrichshainer keine großen Gedanken machen, dass die Rezeption seines Werkes irgendwie aus dem Ruder laufen könnte. Denn das, was in den vergangenen Monaten in den frisch bezogenen Suol-Studios entstanden ist, knüpft da an, führt die Idee des Vorgängers mit einer Konsequenz auf ein neues Level, dass die Dancefloors schnell zu eng werden könnten. Kalkbrenner hat 14 Songs geschaffen, die zu organisch, zu physisch, zu greifbar elegant sind, dass sie zu schade sind, immer nur in der selben Szene zu zirkulieren. Ab Januar stellt Fritz Kalkbrenner sein Album in den Clubs vor.
Interview: Till Erdenberger | Fotografie: Torben Conrad