'Category Archives: Heft Zwei Heft Zwei

Geschichten unserer Autoren über alles was wichtig und richtig, schön und hässlich, gut und schlecht ist.

Schmerz

Eine Kurzgeschichte von Stefan Kalbers

Wenn dies ein Comic wäre, sagen wir im Stil von Arne Bellstorf oder Adrian Tomine, dann bliebe nicht viel mehr als der schwache Versuch, den eigenen inneren Bildern Worte im Sinne einer Vorlage zuzuordnen, in der Hoffnung und dem guten Glauben, dass die Zeichnungen so viel mehr an Kraft und Atmosphäre haben, als es durch die diffuse Chiffrierung mit Buchstaben möglich ist. Die immerwährende Magie eines Bildes bleibt unschlagbar. Zeichner hätte man werden sollen. Oder sich zumindest einen bei Wasser und Brot im Keller halten. Wenn er dann brav die inneren Bilder genau so umsetzt, wie man sich das selbst vorgestellt hatte, wird dann auch schon mal die Kette am Fußgelenk von rechts nach links gewechselt. Weiter weiter lesen

Mit pinker Tinte

Teresa Bücker und ihre vorerst letzten Gedanken zum Themenkomplex „Weiblichkeit und Wahlen“

„Dann haben wir Sex. Mit Geräten. Mit Komplexen. Mit Angst, Angst, Angst. Wir suchen Partner, finden keinen. Werden schwanger. Oder nicht. Haben Angst, weil wir nicht schwanger werden oder doch, und dann kommt das Kind, wir kennen es nicht, wir pflanzen es in einen Blumentopf.“ Sibylle Berg: Der Mann schläft. Weiter weiter lesen

Die Tiefe der TuchfÜhlung

Teresa Bücker über die Generation NEON und schlechte Ratgeber

Zweieinhalb Meter in die Höhe ragt meine mädchenhafte Ratlosigkeit. Jahr für Jahr habe ich Stunde um Stunde in dem mittig eingelassenen Spiegel meines Schrankes ausgeharrt auf der Spur nach Nirgendwo. Ein immerfortes Zwiegespräch mit den Locken, der Blässe und den Sommersprossen vor jeder Samstagnacht. Die Stoffe hinter der Tür sagen kein Wort. Doch in diesen Nächten geht es stets um mehr als den narzisstischen Blick oder das passende Outfit. Der scharfe Blick in die Augen des eigenen Spiegelbilds trifft die wahrhaft wichtigen Entscheidungen. Jede Woche wieder. Wenn dann der eigentliche Knoten platzt, sitzt das Kleid Sekunden später an seinem Platz. Weiter weiter lesen

Nepper, Schlepper, BauernfÄnger

Jan Off über einen Abend mit den Luschen Klotzek und Ebert

Wenn die beiden Chefredakteure des Zentralorgans für Berufsjugendliche, kurz Neon genannt, einen Ratgeber auf den Buchmarkt schmeißen, der der „Generation der Krisenkinder“ (Spiegel Online) den Weg durch den Dschungel des Erwachsenwerdens weisen möchte, ist das in etwa so beeindruckend wie der Schiss einer Möwe auf einem kilometerlangen Stück Strand. Es gibt genügend andere Stellen, an denen du dein Handtuch ausbreiten kannst. Weiter weiter lesen

Kapitel: Weiter gegangen oder
Die Reise ins Gute

von Roman Libbertz

Sommerferien, die letzten meiner Schulzeit. Jessica, Daniel, Michael und ich, alle achtzehn, ein Umstand, der uns das Fahren von Automobilen ermöglichte. Nicht irgendeinen Wagen, einen Golf, natürlich, genau 1998. In der Nacht vor unserem Aufbruch übernachteten wir bei uns zu Hause, selbstverständlich in getrennten Zimmern. Sie, Jessica, die von einer Photographiekarriere träumte, er, Daniel, der sich dem Wirtschaftswesen, allein durch die Einstecktücher für jeden sichtbar, zu verschreiben gedachte, er, Michael, mit der Brille, mein bester Freund, der über Gott und die Welt Bescheid wusste, die Schule aus dem Ärmel schüttelte, aber meiner Meinung nach von der Außenwelt nicht ausreichend anerkannt wurde und ich, ich. Eine Nacht gemeinsam in meinem Elternhaus, dass im Grunde kein Haus war, jedoch über genügend Zimmer verfügte, um derart tituliert zu werden. Die funkelnden, erwartungsfrohen Augen, die Gemeinschaftskasse mit 2000 Mark, die Holztreppen, sowie die Bodendielen musizierten auf ihre Art als wir zu Bett gingen und die Nacht legte einen kühlen Umhang über die Stadt, das Land und unsere Träume. Weiter weiter lesen

Der Geschmack von Beton

von Ariane Sommer

Das Schnappen des Schlosses in der Wohnungstür begrüßt mich zu Hause. Abgestandene Stille versucht, in meinen Kopf zu kriechen. Ein schneller Knopfdruck füllt den Raum mit Licht und Stimmen, die mir auch in meinem von zuckendem Erwachen durchsetzten Schlaf versichern, dass ich noch da bin. Die Mädchen von Next Top Model flackern in meinem Wohnzimmer, fast kann ich sie berühren, ein Armstumpfjunge im Kongo neben seiner starrgesichtigen Mutter, eine undefinierbare blaue Flüssigkeit wird von einer Binde aufgesogen, “Mit der globalen Finanzkrise enden 25 Jahre des Wohlstands”, sagt die Ohneunterleibsfrau aus den Nachrichten, ein Eisbär, nicht Knut, auf einer winzigen Scholle treibend, im Gazastreifen brennt irgendetwas, auf MTV lächelt mich der Schritt von Madonna an, irgendwo auf einer Pressekonferenz spreizt Ahmadinejad seine Lippen, feuchtglänzende Zähne entblößend. Die Stimmen zerren an meinen Synapsen, ich reduziere sie, bis sie nur noch ein Summen sind und schmiege mich an mein Spiegelbild im Fenster, das meine Berührung kühl erwidert, die erste des Tages. Weiter weiter lesen

Es ist still in der Wüste

von Boris Guschlbauer

Da stand ich nun, berauscht vom Kif, am Fuße einer gigantischen Düne, im Irgendwo der marokkanischen Wüste. Der heiße Sand brannte unter meinen wund gelaufenen Füßen. Jedes Sandkorn barg ein komplettes Universum in sich. Und so schleppte ich mich bergauf, von Universum zu Universum, rutschte zurück, drei Schritte waren einer in diesem Treibsand der Sphären. Weiter weiter lesen

Wir glauben an das Gute

von Stefan Kalbers

Die Ampel steht eindeutig auf Rot. Schon vor vierhundert Metern war das ohne jeden Zweifel klar ersichtlich. Ich wage vorsichtig darauf hinzuweisen, eine Spur zu leise vielleicht. Ich weiß nicht, ob Uwe mich auf dem Beifahrersitz überhaupt wahrnimmt. Wir rasen mit 110 Stundenkilometer in einer Vorstadtgegend auf die Kreuzung zu. Ich schließe beide Augen. Etwas anderes bleibt mir gar nicht übrig. Wir könnten seitlich gerammt werden und beide tot sein. Wir könnten einen Unfall verursachen, sterben und andere mit in den Tod reißen. Wir könnten diesen Unfall aber auch schwerstbehindert überleben. Querschnittsgelähmt, im Rollstuhl, ans Bett gefesselt, Arm oder Bein verlierend und dabei noch andere, Unbeteiligte mit ins Verderben stürzen. Als ich die Augen drei Sekunden später wieder öffne, sind wir schon über die Kreuzung. Es ist kurz nach halb elf an einem Montagabend. Der Verkehr hält sich in Grenzen.

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